Berylls Studie zu urbaner Mobilität

Weltweiter Markt für autonome Geschäftsmodelle liegt 2035 bei 1.600 Milliarden Euro – Kunden und Kommunen sind die großen Gewinner.

Die Weltbevölkerung steigt laut den Prognosen der UNO von heute 7,4 auf knapp 8,4 Milliarden Menschen im Jahr 2035. Gleichzeitig steigt der Urbanisierungsgrad weltweit von 54 auf 62 Prozent an. Die logischen Folgen sind höhere Verkehrs- und Umweltbelastungen sowie rapide steigende Mobilitätskosten in den Städten. Im Jahr 2015 lag das weltweite Mobilitätsbudget noch bei 3,6 Billionen Euro, bis zum Jahr 2035 wird es sich mehr als verdoppeln. Die Berylls Mobilitätsstudie beleuchtet die damit verbundenen Risiken und Chancen im Detail. Basis der Analyse sind die Daten von 200 Großstädten weltweit.

Die Analyse zeigt, dass im Jahr 2035 autonom fahrende Autos in verschiedenen Sharing-Modellen regional bis zu 28 Prozent der innerstädtischen Fahrten übernehmen können, das Potenzial den gesamten Individualverkehr zu ersetzen haben sie jedoch nicht. Als Geschäftsmodell versprechen sie dennoch enorme Chancen und haben damit großen Einfluss auf die Kommunen, Anbieter von Mobilitätsplattformen und die Fahrzeughersteller.

Berylls Mobilitätsstudie analysiert 200 Städte weltweit

Städte im 21. Jahrhundert stehen angesichts des Wachstums der urbanen Bevölkerung von rund 35 Prozent in den kommenden 20 Jahren vor vielfältigen und substanziellen Herausforderungen bei der Gestaltung urbaner Mobilität. Rund 5,4 Milliarden Menschen und damit 1,4 Milliarden mehr als heute werden dann in Städten leben. Schon heute sind die Probleme urbaner Mobilität unübersehbar: Staus haben allein in den letzten fünf Jahren im Schnitt um 13 Prozent zugenommen und verursachen alleine in den USA Kosten in Höhe von 110 Milliarden Euro jährlich.
Die immer strengeren Umweltauflagen zwingen die Städte nun insbesondere in Europa zur Beschränkung des motorisierten Individualverkehr in Innenstädten.

Angesichts der weiter steigenden Verschuldungsgrade der Städte weltweit wächst auch deren Herausforderung den zunehmenden Mobilitätsbedarf effektiv und effizient zu decken. Eine dabei prominent diskutierte Option stellen die neuen Mobilitätskonzepte dar – einerseits die hierzulande bekannten Car Sharing Dienste wie DriveNow und Car2Go andererseits Ride Hailing Angebote wie beispielsweise von UBER, Lyft und Didi Chuxing. Die Dienste sind bereits in weit über 1.500 Städten verfügbar und haben mittlerweile geschätzt rund sieben bis acht Milliarden Fahrten vermittelt.

Nichts desto trotz spielen die neuen Services bis dato nur eine untergeordnete Rolle. Der urbane Mobilitätsmarkt in Städten mit über 100.000 Einwohnern deckt rund 2,6 Billionen Wege pro Jahr ab und umfasste 2015 ein Marktvolumen von rund 3,6 Billionen Euro – über 80 Prozent des Budgets entfällt auf den Privat-PKW. Nur rund zwei Prozent des Volumens entfallen auf die neuen Angebote der Mobilitätsplattformen und Car Sharing Dienste. Obwohl wesentlich günstiger als ein Taxi, sind UBER und Co. aber aufgrund der vergleichsweise hohen Beförderungskosten immer noch nicht geeignet, ein Massentransportmittel für die tägliche Nutzung zu sein – rund 60 Prozent der Gesamtkosten entfallen heute auf den Fahrer.

In Zukunft könnte sich dieses Bild mit der Einführung autonom fahrender Fahrzeuge deutlich verändern. Durch den Wegfall des Fahrers und weitgehende Automatisierung von Wartungs- und Ladevorgängen lassen sich km-Preise im Bereich des heutigen ÖPNV realisieren (zwischen 20 und 45 Cent / km). Hierdurch wird der Weg in den breiten Massenmarkt in vielen Regionen der Welt geebnet. Wie schon heute lassen sich die Fahrzeuge per App ordern, fahren den oder die Passagiere zum Ziel und machen sich dann auf den Weg zum nächsten Kunden. Ausgefeilte Algorithmen sollen Leerfahrten dabei auf ein Minimum reduzieren.

Die autonomen Angebote teilen sich auf drei Kategorien auf: das in der Regel auf die Einzelbeförderung ausgelegte Robotaxi von Tür-zu-Tür, Pooling-on-Demand, dessen Betrieb dem heutigen Bus ähnelt, aber auf feste Routen und Fahrpläne verzichtet, und Car2Come, der teilautonomen Variante des Carsharings, wobei das Fahrzeug den Weg zu und vom Kunden autonom fährt, dieser aber das Fahrzeug während der Nutzung auch selber steuern kann.

Die Mobilitätsstudie von Berylls Strategy Advisors hat das potenzielle Marktvolumen zukünftiger autonomer,digitaler Mobilitätsdienstleistungen ausgelotet und deren Bedeutung für die Wertschöpfungsstruktur untersucht. Darüber hinaus wurden die Rahmenbedingungen, die die Entwicklung zukünftiger Szenarien beeinflussen, analysiert. Die einzigartig breite Datenbasis der Studie ermöglicht es, die Ergebnisse der detaillierten Erhebung auf alle Metropolen weltweit mit mehr als 100.000 Einwohnern zu extrapolieren. In diesen Städten leben schon heute 38 Prozent der Weltbevölkerung beziehungsweise 70 Prozent der städtischen Bevölkerung.

Autonomes Fahren ergänzt konventionelle Verkehrsträger

Zur Ableitung des zukünftigen Marktpotenzials autonomer Geschäftsmodelle hat Berylls drei Szenarien entworfen, um der Unsicherheit der Marktentwicklung in diesem Bereich Rechnung zu tragen. Bevölkerungswachstum, Preissteigerungen vor allem in den Emerging Markets, sowie die zunehmende Motorisierung lässt das urbane Mobilitätsbudget von heute 3,6 Billionen auf 8,1 Billionen Euro im Jahr 2035 steigen. Die bereits beschriebenen autonomen Geschäftsmodelle haben im „Basisszenario“ der Studie mit rund 1.600 Milliarden Euro einen signifikanten Anteil. Weltweit werden dann 13 Prozent aller städtischen Wege durch die neuen Angebote abgedeckt.

Es kommt dabei zu einer Polarisierung zwischen etablierten und aufstrebenden Märkten: Während in Lateinamerika und großen Teilen Asiens und Afrikas fehlende wirtschaftliche wie infrastrukturelle Voraussetzungen die Einführung autonomer Modelle bremsen, bestehen in den etablierten Automobilmärkten größere Potenziale. Europa liegt mit 15 Prozent Marktanteil autonomer Modelle nur leicht über dem globalen Durchschnitt. Nordamerika mit 22 Prozent und China mit 28 Prozent haben ein deutlich höheres Potenzial. Matthias Kempf, Mobilitäts-Experte bei Berylls Strategy Advisors: „Autonomes Fahren wird das Stadtbild zwar ergänzen, hat jedoch nicht das Potenzial alle anderen Verkehrsträger komplett zu ersetzen. Vor allem ein modernisierter Schienenverkehr wird nach wie vor eine wichtige Rolle spielen, während der „klassische“ Busbetrieb mit fixen Linien unter Druck geraten könnte.“ So geht die Studie davon aus, dass 50 Prozent aller Busfahrten durch autonome Betreibermodelle wegfallen könnten.
Für den Betrieb sind so genannte Special Purpose Vehicles (SPV) notwendig, also robuste, einfach zu wartende Fahrzeuge, die speziell auf die Transportanforderungen in der Innenstadt mit zwei bis acht Personen ausgelegt sind. In der Übergangsphase werden sie noch von einem Fahrer bewegt, spätere Modelle können vollautomatisiert unterwegs sein.

Die Mobilitätsstudie zeigt, dass sich große Unterschiede zwischen den Städten und Regionen entwickeln werden. Jene Städte, die sich früh auf die Elektrifizierung der Mobilität sowie die digitalen Betreibermodelle einstellen und den autonomen Flotten ihr Verkehrsgebiet öffnen, werden Nachzügler in der „Transformation des Verkehrs“ immer deutlicher abhängen. Ohne alternative Lösungskonzepte wird eine weitere Zunahme der Stauproblematik in diesen Städten unvermeidbar sein, mit allen negativen Folgen für Bevölkerung und Umwelt.

Um die Geschwindigkeit und das Potenzial der Marktdurchdringung abzuwägen wurde hierfür die Methode des „Shared Autonomy Transition Radar“ entwickelt und implementiert. Hierbei werden die für die jeweiligen Betreibermodelle erforderlichen Voraussetzungen an Regulierung respektive politischem Willen, Technologie, Infrastruktur, Wettbewerbsengagement und Kundenakzeptanz mit den lokal zu erwartenden Entwicklungen und Reifegraden entgegengestellt und Abschätzungen über Marktpotenziale getroffen.

Gewinner sind Kunden und Kommunen

Wird der grundlegende Wandel des Verkehrs konsequent umgesetzt, gehören gleichwohl Kommunen wie Einwohner zu den Gewinnern. Kunden profitieren einerseits von deutlich geringeren Kosten im Vergleich zum heutigen PKW, andererseits von einer dem heutigen ÖPNV überlegenen Verfügbarkeit und einem höheren Komfort. Kommunen könnten autonome Mobilitätskonzepte wohl in vielen Fällen ohne die heute übliche Quersubventionierung betreiben und damit die öffentlichen Haushalte deutlich entlasten. Allein in Deutschland sind aktuell rund 5,8 Milliarden Euro pro Jahr als Quersubventionierung für den ÖPNV notwendig.

Die Substitution des eigenen PKW und des klassischen Busbetriebs durch autonome Betreibermodelle spiegelt sich auch im Fahrzeugbestand und schließlich der Produktion wider. Rund 40 Millionen spezifisch für diese Geschäftsmodelle entwickelte Fahrzeuge, 33 Millionen davon autonom, werden für die Abwicklung des Verkehrs benötigt. Diese Fahrzeuge sind rund zehnmal stärker ausgelastet als heutige PKW, fahren allerdings auch 20 bis 30 Prozent im Leerbetrieb. Deshalb werden vor allem Städte mit hoher Bevölkerungsdichte und beschränkter Straßenkapazität Anreize schaffen, einen möglichst hohen Anteil „Pooling-on-Demand“-Modelle mit höherer Fahrgastbelegung einzusetzen, um die gefahrenen Mehrkilometer in Summe zu begrenzen. Für die Fahrzeugproduktion ermittelt die Studie ein Substitutionspotenzial von 23 Millionen Pkw im Jahr 2035 weltweit. Darüber hinaus werden auch Privatpersonen ihre – dann autonom fahrenden ¬- Fahrzeuge temporär für andere Nutzer zur Verfügung stellen (sogenannte Peer-to-Peer-Sharing-Modelle (P2P)). Heutige Plattformen wie z.B. Croove von Daimler, die noch ein Nischendasein fristen, werden eine deutlich wichtigere Rolle spielen als heute.

Für Autohersteller, Städte und Mobilitätsplattformanbieter entstehen gleichzeitig neue Geschäftsmodelle, beispielsweise „Vehicle as a Service“: Dies beschreibt die Bündelung aus Finanzierung, Versicherung, Wartung, Reparatur und Betrieb der autonomen Fahrzeuge, beispielsweise für einen monatlichen Festpreis. Gleichzeitig geraten Geschäftsmodelle heutiger so genannter „reiner“ Sharing-Plattformanbieter wie Uber, Didi oder Lyft zunehmend unter Druck. „Die heutige Marktdominanz und Verhandlungsmacht der reinen Plattformanbieten in einigen Teilen der Welt wird durch die Einführung autonomer Fahrzeuge stark zurückgehen – vor allem, wenn sich ein Modell etabliert, das auf den Einsatz von „Special Purpose Vehicles“ abzielt“, so Matthias Kempf. „Gleichzeitig erhalten die Automobilhersteller die Möglichkeit, eigene Transportflotten zu unterhalten und neue Geschäftsfelder abzudecken. So ergibt sich für die Automobilhersteller zusätzliches Geschäftspotenzial, das einen zu erwartenden Netto-Rückgang der Fahrzeugnachfrage kompensieren kann.“

Robert Ziffling, Berater bei Berylls und Co-Autor der Studie ergänzt: „Für die Automobilindustrie ist die Entwicklung Bedrohung und Chance zugleich. Einerseits würde sich der Absatz an PKW und leichten Nutzfahrzeugen reduzieren, andererseits entsteht durch den Betrieb der autonomen Flotten ein neuer attraktiver Markt für das Servicenetz. Und wir dürfen nicht übersehen, dass der globale Fahrzeugabsatzmarkt trotz der Substitutionseffekte in Summe immer noch steigt.“

Neue Konkurrenz für ÖPNV-Platzhirsche ist zu erwarten

Darüber hinaus lässt die Studie Rückschlüsse auf den Veränderungsbedarf bei den „klassischen“ ÖPNV-Unternehmen zu. Diese müssen sich ebenfalls strukturell weiterentwickeln, wenn sie künftig ihre führende Position in den Städten beibehalten wollen. Robert Ziffling: „Die klassischen „siloartigen“ Planungs- und Steuerungsmodelle sind zu hinterfragen, wenn autonome Angebote ihr Potenzial für einen profitablen eigenwirtschaftlichen Betrieb heben sollen.“ Es ist keineswegs sichergestellt, dass die heutigen ÖPNV-Platzhirsche auch zukünftig noch erste Wahl der Kommunen und Städte sind, um die Mobilität lokal zu organisieren und zu optimieren. Auch Internetgiganten wie Google, Telekommunikationsunternehmen oder auch kleinere Spezialisten wären in der Lage, sich hier als betreiber-unabhängiger Partner für die Städte zu etablieren.

Ohne Unterstützung durch die Politik werden sich die Vorteile der digitalen Mobilität jedoch nicht oder nur teilweise realisieren lassen. Ganzheitliche Planungs- und Finanzierungskonzepte müssen erarbeitet werden, bei denen auch die umliegenden Kommunen der Städte zu beteiligen und andere Industriesektoren wie Energie und Versorgung einzubeziehen sind. Eine fundierte Entscheidungsbasis für die politischen Entscheider sowie all jene, die die Mobilität von morgen gestalten wollen, liegt nun mit der von Berylls Strategy Advisors angelegten Mobilitätsstudie vor.

Basis für die Studie sind Daten aus 200 internationalen Metropolen aus lokalen und nationalen statistischen Ämtern zum erwartenden Bevölkerungswachstum, der Anzahl der Wege pro Kopf, Modalsplits, durchschnittlichen Wegelängen und Kosten pro Kilometer je Verkehrsträger. Eingeflossen sind außerdem die Erkenntnisse aus zahlreichen Experteninterviews, weit über 100 Markt- und Industriestudien, Geschäftsberichte betroffener Unternehmen, Daten und Einschätzungen von Verkehrsbehörden und Forschungsinstituten, sowie Simulationsstudien unterschiedlicher wissenschaftlicher Institute, inklusive der Robotaxi-Simulationsstudie von Berylls Strategy Advisors und der Technischen Universität München.

www.berylls.com

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