200 Jahre Fahrrad: Saarbrücker Informatiker elektrifizieren historisches Laufrad

Kleinkinder nutzen das Laufrad noch heute, das Erfinder Karl von Drais erstmals am 12. Juni 1817 auf einer längeren Fahrt erprobte. Nun, rund 200 Jahre später, machen Informatiker der Saar-Uni den Vorgänger des Fahrrades auch für Erwachsene attraktiv.

Zu Ehren des Erfinders besteht ihr Prototyp zwar noch immer komplett aus Holz, verfügt jedoch auch über Elektromotor, Batterie, Sensoren und Mini-Computer. Sobald sich der Fahrer mit den Beinen vom Boden abstößt, schaltet sich der Motor ein und verleiht Fahrer samt Gefährt zusätzlichen Antrieb. Mit ihrer „Draisine 200.0“ testen die Informatiker die Aussagekraft mathematischer Beweise, um damit unter anderem die Software von E-Bikes sicherer zu machen.

Holger Hermanns ist Professor für Informatik an der Universität des Saarlandes und mittlerweile auch in der Fahrrad-Szene bekannt. Mit seiner Grundlagenforschung will er der schnell wachsenden Elektro-Fahrrad-Industrie helfen, Programmierfehler zu vermeiden, die in anderen Industriezweigen bereits für Schlagzeilen sorgten. Hermanns ist überzeugt: „Wenn es uns gelingt, die automatische Verifikation der Software zum Industriestandard zu machen, werden wir so etwas wie den Dieselskandal nicht mehr erleben“.

Im Jahr 2011 stellte er daher eine drahtlose Fahrradbremse vor. Die Zuverlässigkeit der auf Funk basierenden Bremse bewies er mit mathematischen Methoden, die auch bei Steuersystemen von Flugzeugen oder chemischen Fabriken zum Einsatz kommen. Die drahtlose Fahrradbremse machte so weltweit Schlagzeilen. 2016 zeichnet ihn dann der Europäische Forschungsrat mit einem auf 2,4 Millionen Euro dotierten Advanced Grant aus. Damit will Holger Hermanns auch die Software für Elektrofahrräder in punkto Betriebssicherheit weiterentwickeln. Wenige Wochen später erfährt Hermanns, dass am 12. Juni 2017 die erste Radtour ihren 200. Geburtstag feiert. Er fasst den Entschluss, das Laufrad des Karl von Drais nachzubauen und es dabei gleich mit einem Elektroantrieb auszustatten.

Zusammen mit Dries Callebaut, einem belgischen Fahrrad-Ingenieur, entwickelt er in wenigen Monaten einen Prototyp für die „Draisine 200.0“. Zu Ehren von Karl von Drais ist das Nachfolge-Modell komplett aus Holz gefertigt und wird über eine Art Fußpedal am hölzernen Vorderrad gebremst. In der Nabe des ebenfalls hölzernen Hinterrades sitzt ein 200 Watt starker Elektromotor, angetrieben von einer 750 Gramm schweren Batterie. Per Kabel ist der Elektromotor mit einem Mini-Computer verbunden, der am Rahmen des Laufrades sitzt und ihn mit Hilfe eines Beschleunigungssensors steuern soll. Jedoch genau das erweist sich als schwierig.

„Bei den herkömmlichen Elektrofahrrädern schaltet sich der Motor ein, wenn sich die Pedale bewegen, bei der Draisine gibt es diese nicht“, erklärt Hermanns. Genau zu erfassen, wann der Fahrer das Laufrad anschiebt, wird daher zur Herausforderung, die Feinabstimmung der entwickelten Steuer-Software zur Nervenprobe. Die Forscher merken schnell, dass schon kleine Fehler drastische Wirkung haben. „Stellen Sie sich vor, Sie holpern über einen Bordstein, die Sensorik interpretiert dies als Anschieben und lässt den Elektromotor auf 25 Kilometer pro Stunde Höchstgeschwindigkeit beschleunigen“, erläutert Hermanns die Brisanz. Immer wieder testen die Mitglieder seiner Gruppe den Prototypen, allen voran Gereon Fox und Florian Schießl. Sie montieren sogar eine Kamera am Rahmen, um per Videobeweis das korrekte Zusammenspiel von menschlicher und elektrischer Antriebskraft zu verifizieren. Um die Videoaufnahmen mit den gemessenen Sensor-Daten zu synchronisieren, entwickeln sie auch eine spezielle Leuchtdioden-Uhr, die sie automatisch auslesen.

Die Anstrengungen zeigen Wirkung: Der dritte Prototyp – Mini-Computer, Batterie und Beschleunigungssensor sind inzwischen ganz im Holzrahmen verschwunden – lässt sich nicht mehr durch starkes Rütteln fortbewegen. Für die Forscher um Professor Hermanns ist dies jedoch erst der Anfang: „Wir werden nun die Korrektheit der Software verifizieren, also mathematisch beweisen, dass der Motor nicht über die erlaubte Höchstgeschwindigkeit antreibt und dass die Batterie nicht überlastet wird“, erklärt Hermanns. Jetzt will der Informatik-Professor jedoch erstmal mit dem aktuellen Prototyp eine längere Testfahrt unternehmen. Denn so fing schließlich vor 200 Jahren auch alles an.

An der Draisine 200.0 arbeiteten ebenfalls Sebastian Biewer, Felix Freiberger und Gilles Nies mit. Das Projekt wurde mit dem Preisgeld des ERC Advanced Grant finanziert.

www.uni-saarland.de

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08.06.2017   |  

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