ID.VIZZION concept car.

Autoindustrie im Wandel: Nach der Elektromobilität wird Software zum großen Gamechanger

Volkswagen Entwicklungsvorstand Thomas Ulbrich und Vertriebsvorstand Klaus Zellmer erklären, wie die Transformation gelingen soll.

Vor kurzem haben Sie die Elektrifizierung der Modellpalette gestartet – nun erhöhen Sie das Tempo bei der Digitalisierung. Wie wollen Sie beides zusammen schaffen?

Klaus Zellmer, Vorstand Volkswagen, VW, Vorstand für Marketing und Vertrieb

Zellmer: Unsere E-Offensive ist bereits in voller Fahrt. Wir haben Autos wie den ID.3, den ID.4 oder den ID.6 speziell für China erfolgreich auf den Markt gebracht. Unsere Elektroautos kommen hervorragend an: Bereits in diesem Jahr wollen wir rund 450.000 elektrifizierte Fahrzeuge verkaufen – das schließt vollelektrische Modelle und Plug-in-Hybride ein. Parallel bauen wir Software zur Kernkompetenz aus, denn digitale Stärken werden für unsere Kundinnen und Kunden zu einem immer wichtigeren Kaufargument. Wer als Automobilhersteller nicht die gleiche digitale Vernetzung wie die Consumer-Elektronik bietet, hat eigentlich schon verloren.

Thomas Ulbrich, Member of the Board of Management of the Volkswagen Brand responsible for Technical Development

Ulbrich: Gerade unsere erfolgreichen E-Autos zeigen, dass wir die Software-Herausforderung bewältigen können. In den letzten Jahren haben wir immer wieder gesagt, dass die Marke Volkswagen die E-Mobilität aus der Nische ins Volumen bringt. Anfangs haben uns das viele nicht geglaubt – heute bezweifelt niemand mehr, dass Volkswagen liefert. Ein noch herausfordernderer Prozess liegt bei der weiteren Digitalisierung unserer Fahrzeuge vor uns. Das ist kein Sprint, sondern ein anspruchsvoller Marathon.

Zu den neuen Konkurrenten gehören Herausforderer wie Tesla und große Tech-Konzerne. Was hat Volkswagen deren Software-Kompetenz entgegenzusetzen?

Ulbrich: Volkswagen ist bereits auf dem Weg vom Hardware-Unternehmen zum integrierten Anbieter von Hardware, Software und Mobilitätsservices. Dabei hilft uns die enge Zusammenarbeit mit unserer neuen Software-Einheit CARIAD, die uns schneller macht und die Inhouse-Kompetenz drastisch erhöht. Auch in anderen Bereichen verändern wir uns – ein gutes Beispiel ist die Technische Entwicklung in Wolfsburg, die immer stärker nach agilen Ansätzen arbeitet. Allerdings wird sich Volkswagen nicht in einen reinen Tech-Riesen verwandeln. Das wäre nicht gut. Denn wir haben eine über Jahrzehnte gewachsene Erfahrung, in komplexen Prozessen sichere und hochwertige Hardware zu fertigen. Wir verbinden das Beste aus zwei Welten: sichere automobile Hardware und progressive Software-Lösungen.

Zellmer: Wir respektieren unsere neuen Wettbewerber. Allerdings hinkt der Vergleich. Unternehmen wie Tesla haben ihr Geschäft quasi auf der grünen Wiese begonnen. Volkswagen als Volumenhersteller hat andere Stärken: Mit unseren großen Stückzahlen können wir konzernweit enorme Kostenvorteile erzielen. Allein die Marke Volkswagen verkauft jährlich rund 6 Millionen Autos an Kunden. Dieses enorme Portfolio werden wir in den kommenden fünf bis acht Jahren in der Elektronik umstellen und den Markt damit massiv verändern. Spiegelbilder dieser Entwicklung sind unsere Modelle ID.3 und ID.4, in denen unsere aktuell leistungsfähigste Software- und Elektronik-Architektur zum Einsatz kommt.

Wo liegen deren Stärken?

Ulbrich: Die neue Elektronik-Architektur besteht aus zunächst zwei vernetzten Hochleistungsrechnern. Diese beiden Rechner übernehmen Funktionen, die in anderen Fahrzeugen auf viele Steuergeräte verteilt sind. Das macht die Plattform leistungsfähiger und cleverer. Diese neue Architektur ermöglicht uns erstmals bei Volkswagen weitreichende Over-the-Air-Updates. Online, per Mobilfunknetz, wo auch immer sich der Volkswagen befindet. Diese Online-Updates gehen wesentlich weiter als die Updates, die bisher über das Infotainmentsystem möglich waren.

Zellmer: Unsere Kunden können damit die Software ihrer Fahrzeuge auf dem aktuellen Stand halten und sogar völlig neue Funktionen an Bord holen. Beim Smartphone ist das schon Alltag und auch im Auto werden Over-the-Air-Updates die neue Normalität sein. Auch hier haben wir uns die nötige Zeit genommen, um ein Höchstmaß an Sicherheit zu bieten. Es ist schließlich etwas völlig anderes, ob man ein Update auf ein Smartphone oder ein Auto schickt. Geht das Smartphone-Update schief, kann man im schlimmsten Fall nicht mehr telefonieren. Im Auto hingegen darf nichts schiefgehen, es muss perfekt bremsen, lenken und blinken.

Was sind die nächsten Meilensteine?

Ulbrich: Ein Kristallisationspunkt des Wandels wird 2026 der Trinity sein, ein vollkommen neues Hightech-Elektrofahrzeug. Es wird hohe Reichweiten, schnelles Aufladen und einen extrem hohen Grad an Digitalisierung bieten. Den Grundstein dafür haben wir bereits gelegt: mit einer progressiven Software-Architektur, die sich permanent weiterentwickelt. Mit diesem Grundstein wird Volkswagen für junge Menschen noch attraktiver werden!

Zellmer: Software öffnet uns die Tür zu neuen Business-Modellen: Künftig werden immer mehr Menschen ein Auto für spezielle Anlässe buchen – für den Wochenendausflug, den Möbeltransport oder zum Campen. Beim Autowechsel wird es selbstverständlich sein, individuelle Einstellungen mitzunehmen – etwa die individuelle Sitzeinstellung oder die persönliche Lieblingsmusik. Manche Software-Funktionen werden wir nur dann buchen, wenn wir sie gerade brauchen – zum Beispiel einen Fahrassistenten für die lange Strecke in den Urlaub. Für uns als Unternehmen bieten diese „Functions on Demand“ ein enormes Wertschöpfungspotenzial. Wir rechnen mit zusätzlichen jährlichen Erlösen im dreistelligen Millionenbereich.

Wodurch hebt sich ein Volkswagen im Digital-Zeitalter von anderen Autos ab?

Zellmer: Nehmen wir das aktuelle Beispiel Augmented-Reality-Head-up-Display: Dieses System grenzt den ID.3 und ID.4 in ihren Klassen vom Wettbewerb ab – es macht sie wertvoller, besser, moderner, cooler, sicherer, weil Fahrerinnen und Fahrer alle wichtigen Informationen direkt vor sich sehen. Insgesamt wird Software ein völlig neues Mobilitätserlebnis ermöglichen. Software im Fahrzeug – das ist Kommunikation, das ist Komfort, das ist Dynamik, das ist Nachhaltigkeit. Kurzum: Software ist Lebensqualität.

Ulbrich: Ja, genau, Software bestimmt längst den Charakter unserer Autos. Über Software individualisieren wir die Lenkung, das Ambientelicht oder den Motor-Sound. Trotz allem bleibt aber auch die Hardware wichtig: Hier verfügen wir mit dem MEB über eine der weltweit modernsten Elektroauto-Plattformen. Diese Plattform bietet ein enormes Skalierungspotenzial. Nicht nur innerhalb der Marke Volkswagen, sondern auch bei den Schwestermarken Audi, SEAT, ŠKODA oder Volkswagen Nutzfahrzeuge. Dank dieser Skaleneffekte haben wir als Konzern das Potenzial, digitale Innovationen finanzierbar und massentauglich zu machen.

Diesen und weitere Beiträge zum Thema Mobilität 4.0 elektrisch-vernetzt-autonom finden Sie im druckfrischen eMove360° Magazin 03/2021. Kostenloses Download-PDF.

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30.09.2021   |  

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