Designerin Heike Hustedt, Vplkswagen AG

Heike Hustedt zu nachhaltigem Interieur-Design: “Unser Ziel ist die Kreislaufwirtschaft”

Im aktuellen eMove360° Magazin – hier kostenlos downloaden. erläutert Designerin Heike Hustedt, wie Volkswagen den ökologischen Fußabdruck von Fahrzeug-Innenräumen optimiert. Das Ziel: die Kreislaufwirtschaft

Die Designerin Heike Hustedt ist seit 20 Jahren bei Volkswagen tätig. Im Bereich Color & Trim wählt sie Materialien aus und gestaltet Oberflächen am und im Fahrzeug. Ihr Schwerpunkt: die Entwicklung nachhaltiger Materialien für den Serieneinsatz. Im Interview erklärt Heike Hustedt den Entwicklungsprozess und den Serieneinsatz nachhaltiger Materialien im Bereich der Interieur-Oberflächen.

Frau Hustedt, womit beschäftigen Sie sich gerade hauptsächlich?

Heike Hustedt: Grundsätzlich beschäftigt sich der Bereich Color & Trim mit allen Materialien für Oberflächen am und im Auto. Alles, was der Kunde sieht, geht durch unsere Hände. Wir legen Strukturen, Farben oder die Oberflächenbeschaffenheit fest: Ist die Oberfläche weich, rau oder fest. Aktuell konzentriere ich mich vor allem auf die rein elektrische ID. Familie, die wir möglichst nachhaltig – und tierfrei – gestalten wollen.

Wie geht Volkswagen grundsätzlich vor, um ein Material nachhaltiger zu gestalten?

Hustedt: Wir verfügen über eine große Erfahrung in der Materialkunde. Daher kennen wir bei unseren Materialien die Potenziale und wissen, wo wir ansetzen können. Das geschieht in der Regel in enger Kooperation mit Entwicklern und Lieferanten. Ein Beispiel: Volkswagen setzt bereits seit 25 Jahren auf chromfreies Leder. Im Volkswagen Touareg setzen wir seit 2019 ein Leder ein, bei dem als Gerbstoff ein weiterverarbeitetes Extrakt aus Olivenbaumschnitt eingesetzt wird. Normalerweise werden bei der Olivenernte anfallende Olivenblätter verbrannt.

In dem Fall kam ein Lieferant früh auf uns zu und stellte uns das Gerbverfahren vor. Es hat uns sofort überzeugt, denn die sogenannte „Wet-Green“-Gerbung ist ein sehr nachhaltiges Verfahren. Hinzu kommen kurze Transportwege: Das Leder kommt aus Europa, überwiegend aus Süddeutschland. Gegerbt wird in Italien.

Warum kommt dieses nachhaltige Leder nicht bei der ID. Familie zum Einsatz?

Hustedt: Bei den Elektrofahrzeugen möchten wir grundsätzlich auf tierische Produkte verzichten. Entsprechend dieser Festlegung geraten Materialien wie Dinamica (Artvelours) in den Fokus. Das ist ein Mikrofasergewebe, das sich anfühlt wie Veloursleder. Es besitzt eine matte, raue Oberfläche und ist sehr weich. In den ID. Fahrzeugen kombinieren wir es mit glattem Kunstleder. So erzeugen wir Wertigkeit und Wiedererkennbarkeit über die gesamte ID. Familie.

Kunstleder basiert auf Mineralöl. Welche Ansatzpunkte verfolgen Sie hier?

Hustedt: Kunstleder wird in verschiedenen Märkten, etwa den USA, stark verlangt. Es gilt als robust und leicht zu reinigen. Daher hat Volkswagen in vielen Märkten schon immer Kunstlederausstattung angeboten. Hinzu kommt: Für Kunden, die auf tierische Produkte verzichten möchten, ist Kunstleder oftmals die einzige Alternative zu Leder.

Beim Thema Nachhaltigkeit hat Kunstleder bisher Nachteile, da es einen hohen Anteil mineralölbasierter Komponenten aufweist. Unser Ansatz für eine kurzfristige Verbesserung der Ökobilanz von Kunstleder ist die Erhöhung des biologischen Anteils. Etwa beim sogenannten „Kaffeeleder“, das wir gerade entwickeln: Das Ausgangsmaterial bringt bereits einen Anteil biobasierter Ersatzstoffe mit. Wir erhöhen den Anteil weiter, indem wir Füllstoffe durch Kaffee-Silberhäute ersetzen, die ein Abfallprodukt der Kaffeeröstung sind. Dadurch haben wir einen beachtlichen Anteil biologischer Materialien von mehr als 50 Prozent erreicht. So verbessern wir die Umweltbilanz von Kunstleder.

Wie funktioniert eine solche Materialentwicklung?

Hustedt: Im Bereich Interieur skizzieren wir in der Regel ein Entwicklungsziel, danach geht die Volkswagen Entwicklung auf Lieferanten zu und fordert Prüfware an. Auf dieser Grundlage entwickeln wir zielgerichtet einen optimierten Werkstoff, der sich für die Serienproduktion eignet. Beim Kaffeeleder ist das der Fall: Den Rohstoff für ein neuartiges Kunstleder liefert die Kaffeerösterei Heimbs aus Braunschweig. Sie sind großserienfähig und kooperieren eng mit uns.

Als globaler Volumenhersteller benötigt Volkswagen diese Großserien-Fähigkeit. Es genügt nicht, dass ein Material im Labor die nötigen Tests besteht. Genauso wichtig ist, dass unsere Lieferanten in Großserie produzieren können oder bereit sind, sich gemeinsam mit Volkswagen in diese Richtung zu entwickeln – und sich dabei zu vergrößern oder ihr Angebot zu verändern.

Was ist in Ihrem Arbeitsbereich der nächste große Meilenstein?

Hustedt: Für uns ist ein möglichst hoher Anteil wiederverwertbarer Materialien sehr wichtig. Wir arbeiten dazu gerade an einem Sondermodell der ID. Familie. Bei diesen Fahrzeugen bestehen Dachhimmel, Stoffe, Teppiche, Sitze, Türverkleidungen und Dekorflächen aus nachhaltigem Material, das bis zu 100 Prozent aus Recyclingstoffen besteht – etwa aus PET-Flaschen. Dieser hohe Anteil an Recycling-Material in einem Serien-Interieur hebt uns deutlich vom Wettbewerb ab. Auch innerhalb der Volkswagen Gruppe ist das ein Leuchtturm-Projekt. Ein Beispiel: Im ID.4 stecken 140 PET-Flaschen zu je 1,5 Liter oder 380 Flaschen zu je 0,5 Liter. Damit nimmt Volkswagen eine Vorreiterrolle ein und beweist, dass unser Bekenntnis zur Nachhaltigkeit ernst gemeint ist.

Bitte erläutern Sie kurz die langfristige Perspektive der Materialentwicklung.

Hustedt: Wir verfolgen verschiedene Ansätze. Bei Artikeln wie dem Kaffeeleder tauschen wir einzelne Bestandteile, etwa Füllstoffe, gegen sogenannte „Nawaros“, also nachwachsende Rohstoffe. Langfristig führt der Weg zur Nachhaltigkeit aber vor allem über die Kreislaufwirtschaft. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg dahin ist es, die Anzahl der Bauteile zu reduzieren. Ebenso reduzieren wir die Anzahl der Komponenten in Bauteilen oder die Anzahl der Materialschichten im Bauteil. Das bedeutet auch, Prozesse zu verändern.

Wenn es uns gelingt, die Anzahl der Bauteile auf die Hälfte oder gar ein Drittel zu reduzieren, ist eine wichtige Voraussetzung für die Kreislaufwirtschaft erfüllt. Der letzte wichtige Baustein ist es, die Recyclingprozesse zu optimieren. Wir müssen Materialien von vornherein so anlegen, dass wir sie am Ende des Fahrzeuglebens in einen Recyclingprozess überführen können.

Was sind dabei die Herausforderungen?

Hustedt: Die größte Herausforderung ist die Gestaltung des Automobils. Da kommen wir Designer ins Spiel. Wenn wir Schalttafeln oder Türen aus nur einem Teil bauen können, wäre das genau der richtige Weg.

In der Serie setzt unser Chefdesigner Jozef Kabaň bereits heute darauf, die Anzahl der möglichen Varianten zugunsten von Nachhaltigkeit und Wertigkeit zu reduzieren. Für dieses Vorgehen müssen wir vielleicht auch Verständnis wecken. Kunststoffe im Auto werden beispielsweise in Medien oft als weniger wertig im Vergleich zu anderen Werkstoffen beschrieben. Aber sortenreine Kunststoffe, die leicht wiederzuverwerten sind, sind keine Sparmaßnahme – sie ebnen uns den Weg zur Kreislaufwirtschaft. Je weniger Mischmaterial sich im Fahrzeug befindet, desto leichter können wir Materialien mehrfach wiederverwenden. Das ist aus unserer Sicht der nachhaltigste Weg, ein Automobil zu produzieren.

Welche Werkstoffe kommen dafür in Betracht?

Hustedt: Solche, die einerseits ein Fahrzeugleben lang halten und leicht wiederverwertbar sind und andererseits gut aussehen, sich großartig anfühlen und vom Kunden als wertig wahrgenommen werden. Große Hoffnungen setzen wir auf PET und Polypropylen. Beide Kunststoffe lassen sich sehr gut recyceln, wenn sie reingehalten werden. Diese Ziele existieren nicht nur im Automobilbau, sondern auch beispielsweise in der Modebranche. Turnschuhhersteller bieten bereits Schuhe an, die nur aus einem, komplett wiederverwertbaren, Material bestehen. Der Schuh wird im 3D-Drucker produziert, teilweise gestrickt, teilweise verschweißt – aber er besteht nur aus einem Material. Nach Gebrauch kann der Kunde ihn zurücksenden, der Schuh wird komplett wieder in den Kreislauf überführt. Ein Automobil ist ein ungleich komplexeres Produkt mit einer ungleich höheren Nutzungsdauer. Aber das ist der Weg, den wir eingeschlagen haben.

Quelle: www.shaping-mobility.volkswagen.com

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07.04.2022   |  

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