Interview: Neue Wege der Mobilität

Die Entwicklung hin zum automatisierten Fahren schreitet tagtäglich schneller voran und die Ingenieure arbeiten fieberhaft daran, die Hindernisse auf dem Weg dorthin auszuräumen. Bis zum Jahr 2025 wird sich das Autofahren vollständig gewandelt haben. Wir haben mit zwei Fachleuten gesprochen, die sich mit diesem Thema bestens auskennen: Andree Hohm, Leiter des Leuchtturmprogramms Automated Driving, und Björn Filzek, Leiter Technology Concepts Automated Driving bei Continental.

Was bedeutet das Jahr 2025 für Sie beide?

Andree Hohm: Ich gehe davon aus, dass vollständig automatisiertes Fahren nach dem Jahr 2025 in bestimmten Situationen möglich sein wird. Einfacher ausgedrückt: Der Fahrer kann in diesen Situationen die Kontrolle an das Fahrzeug übergeben und muss sich nicht mehr um Lenkvorgänge und Straßenverlauf kümmern. So wird man mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge haben.

Björn Filzek: Zufälligerweise wird 2025 auch das Jahr sein, in dem meine Tochter als Fahranfängerin ihre ersten Schritte machen wird. Wir werden dann sicher belustigt auf die Art und Weise zurückblicken, wie wir im Jahr 2016 Auto gefahren sind! In einem Jahrzehnt wird das Fahren sich vollständig gewandelt haben und sich komplett vom heutigen Fahrerlebnis unterscheiden, unter anderem was die Dinge angeht, die man während der Fahrt tun kann, und die Art und Weise, wie die Technik den Fahrer entlastet. Selbst fahren wird natürlich weiterhin möglich sein, wenn man das möchte! Beispielsweise an einem wunderschönen Sommertag auf einer idyllischen Panoramastrecke…

Wie werden Sie die Zeit auf dem Fahrersitz verbringen, wenn das Auto alle Aufgaben übernimmt?

Hohm: All das genießen, was heute noch nicht möglich ist. Zum Beispiel die Frühnachrichten im Fernsehen schauen, die Zeitung lesen, voll konzentriert Telefongespräche führen oder einfach aus dem Fenster schauen und hoffen, etwas Interessantes zu entdecken!

Filzek: Ich würde Sachen erledigen, die ich normalerweise im Büro tun würde. So hätte ich mehr
Zeit für meine Familie, sobald ich zu Hause bin.

Die Entwicklung von Automated Driving-Technologien schreitet rasant fort. Was sind die spannendsten Features, die in den nächsten Jahren auf den Markt kommen werden?

Filzek: Drei Dinge werden geschehen: Zunächst einmal wird das Auto ein Teil des Internets werden. Es wird uns ein Benutzererlebnis ähnlich dem Smartphone bieten. Zum anderen werden Autos sich selbst einparken, ohne dass der Fahrer sich hierzu im Fahrzeug befinden muss. Darüber hinaus werden Funktionen verfügbar sein, mit deren Hilfe Fahrzeuge automatisch auf Autobahnen gelenkt werden können. Traditionelle Fahrzeughersteller betrachten die Einführung des automatisierten Fahrens scheinbar als graduellen Prozess. Sie gehen davon aus, dass die Weiterentwicklung der Fahrerassistenzsysteme so lange fortschreitet, bis schließlich die vollständige Automatisierung erreicht ist. Unterdessen arbeitet Google bereits am vollständig autonomen Auto.

Evolution oder Revolution: Was wird passieren?

Hohm: Beides! Die beiden Ansätze stehen nicht im Widerspruch zueinander, sondern sind einfach zwei Seiten derselben Medaille. Seit jeher hegen die Fahrzeughersteller die Vision eines Fahrzeugs, das alle möglichen Mobilitätsbedürfnisse befriedigt – ganz gleich, ob es sich um Fahrten zum entfernten Urlaubsziel oder zum Geschäftstermin in der Stadt handelt. Hierfür ist ein graduelles Herangehen am sinnvollsten, da es dem Fahrer die Möglichkeit eröffnet, Funktionen des automatisierten Fahrens schrittweise in mehr und mehr Fahrsituationen einzusetzen. Andererseits spezialisieren sich neue Akteure am Markt auf bestimmte Bereiche der Mobilität, beispielsweise auf Millionenstädte und ihre kollabierenden Verkehrssysteme. In diesen Bereichen könnte ein Umdenken Sinn machen. Es wäre zu überlegen, ob der gemeinsame Ansatz noch passend ist, oder ob wir vollständig neue Lösungen benötigen. Google hat beispielsweise kleine autonome Fahrzeuge entwickelt, die ohne Pedale und Lenkrad auskommen und nur geringe Geschwindigkeiten erreichen. Ich bin mir absolut sicher, dass es schließlich zu einer Symbiose beider Ansätze kommen wird.

Sollten die traditionellen Fahrzeughersteller das Silicon Valley als Gefahr betrachten? Müssen Sie befürchten, zu bloßen Zulieferern für leistungsfähige neue Automarken von Google und Apple degradiert zu werden?

Hohm: Die Geschäftswelt birgt immer Gefahren! Man muss stets ein Auge auf die Wettbewerber haben. Es ist richtig, dass mit dem automatisierten Fahren viele neue Akteure in den Markt eintreten werden. Ein komplett neues Ökosystem wird entstehen. Die Fahrzeughersteller müssen sich daher gut vorbereiten! Viele dieser Unternehmen blicken auf eine recht lange Geschichte zurück. Sie hätten aber nicht 100 Jahre oder länger bestehen können, wenn sie sich neuen Herausforderungen nicht gestellt hätten. Ich bin mir sicher, dass wir im Jahre 2025 rückblickend feststellen werden, dass eine neue Weltordnung des Automobils entstanden ist und darin sowohl die alten als auch die neuen Akteure ihren Platz gefunden haben.

Lassen Sie uns die zu Grunde liegende Technologie näher beleuchten. Was braucht es, um vollständig automatisiertes Fahren wahr werden zu lassen?

Filzek: Zunächst einmal benötigen wir sehr gute Sensoren. Darüber hinaus muss das Fahrzeug seine Umgebung bewusst wahrnehmen. Dieses Bewusstsein muss in gewisser Weise sogar stärker als das des Menschen ausgeprägt sein. Das Fahrzeug muss alles sehen, spüren und hören, was in seinem Umfeld geschieht.

Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz dabei?

Hohm: Was Björn Filzek gerade beschrieben hat, ist bereits eine Art von Schwarmintelligenz. Darüber hinaus birgt die künstliche Intelligenz jedoch ein enormes Potenzial für autonome Fahrzeuge. Das gilt insbesondere für sehr komplexe Fahrsituationen. Stellen Sie sich hierzu eine Kreuzung in einer Millionenstadt mit mehreren Fahrspuren und Ampeln, einer Vielzahl von Lichtern und Farben sowie einer nassen und unebenen Fahrbahn mit verwirrenden Fahrbahnmarkierungen vor. Hinzu kommen die Straße überquerende Fußgänger und mehrere geparkte Fahrzeuge. Dieses Szenario ist bereits für Menschen am Steuer eine Herausforderung, der sie aber offensichtlich gewachsen sind. Mit den Methoden der künstlichen Intelligenz haben wir die Möglichkeit, Fahrzeuge mit derselben Intelligenz auszustatten. Davon sind wir jedoch noch ein paar Schritte entfernt…

Wie sähe ein solches intelligentes Fahrzeug eigentlich aus? Vielleicht so wie K.I.T.T. in Knight Rider?

Hohm: Ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, K.I.T.T. sei ein realistisches Szenario. Aber Hollywood hat tatsächlich einige faszinierende Visionen für das automatisierte Fahren erschaffen. Beispielsweise in den Filmen „I, Robot“ oder „Minority Report“. Ich sammle solche Beispiele leidenschaftlich gern. Einige sind sehr amüsant, andere hingegen wirklich überzeugend. Die Vorstellungen der Kreativen zu Mensch-Maschine-Schnittstellen sind sehr inspirierend. Wir leben in faszinierenden Zeiten, in denen Science-Fiction-Visionen schon bald Wirklichkeit werden könnten.

Müssen die Fahrzeuge vernetzt sein, um die Automatisierung zu ermöglichen?

Filzek: Nein. Das automatisierte Fahren wird allein mit den bordeigenen Sensoren sicher sein. Durch die Vernetzung steigt jedoch der Komfort des automatisierten Fahrens und die Anwendbarkeit auf mehr Verkehrssituationen. Befindet sich beispielsweise ein Hindernis auf der Straße, ist ein automatisiertes Fahrzeug ohne Vernetzung in der Lage, eine Notbremsung zum Schutz des Fahrers einzuleiten. Ist das Fahrzeug jedoch vernetzt, wird ihm das Hindernis lange im Voraus bekannt sein, sodass die Bremsen erst gar nicht betätigt werden müssen.

Wie können Sie bei einer Fehlfunktion oder anderen Gefahren gewährleisten, dass automatisierte Fahrzeuge sicher unterwegs sind?

Filzek: Diese Problemstellung muss man in drei Schritten angehen. Zunächst einmal müssen wir Möglichkeiten finden, das Risiko von Fehlfunktionen zu minimieren. Niemand wird diese jedoch zu 100 % ausschließen können. Damit kommen wir zum zweiten Schritt: Sollte doch einmal eine Fehlfunktion auftreten, so selten dies auch geschehen mag, müssen wir gewährleisten, dass diese vom System unmittelbar erkannt und entsprechende Schutzmaßnahmen eingeleitet werden. Im dritten Szenario geht es um Gefahren durch Dritte, wenn etwa ein anderer Fahrer einen Fehler macht oder plötzlich ein Reh vor dem Fahrzeug auftaucht. In diesen Fällen wird das Fahrzeug zumeist dank der Sensoren und der Vernetzung rechtzeitig gewarnt. Die Anzahl der Unfälle durch Spurwechsel werden zurückgehen, wenn ein Fahrzeug dem anderen mitteilen kann: „Vorsicht, ich wechsle gleich die Spur!“ In den seltenen Fällen, in denen ein Aufprall unausweichlich ist, steht außerdem noch das ganze Spektrum passiver Sicherheitsmaßnahmen zur Verfügung, u. a. die Airbags. Mit diesem mehrstufigen Ansatz wird die sichere Fahrt
automatisierter Fahrzeuge auf jeden Fall gewährleistet sein!

Wie groß ist die Gefahr von Internetangriffen?

Hohm: Hierbei handelt es sich nicht um neue Bedrohungen. Letztes Jahr machte ein prominenter Fall Schlagzeilen, bei dem ein erfolgreicher Hacker-Angriff auf ein Fahrzeug stattfand, das nicht einmal vollständig automatisiert war. Klar ist, je stärker ein Gerät vernetzt ist, desto mehr potenzielle Angriffspunkte gibt es. Gleichzeitig erreichen jedoch die entwickelten Gegenmaßnahmen eine beispiellose Wirksamkeit, unter anderem in Form von neuen Verschlüsselungsstufen und Firewalls. Schauen Sie sich einmal an, wo bereits vernetzte Systeme in besonders heiklen Bereichen eingesetzt werden. Denken Sie an den Luftverkehr oder die Militärtechnik und wie schwer­wiegend ein Hacker-Angriff hier ausfallen würde. Dennoch haben Ingenieure diese Systeme mit Erfolg ausreichend sicher gestaltet. Dasselbe wird auch für das automatisierte Fahren gelten.

Wird die Definition eines gemeinsamen Standards schwierig sein? Es könnte etwas verwirrend werden, wenn jedes Auto eine andere Schnittstelle besitzt…

Filzek: Alle Schnittstellen werden zu einer Art natürlichem Optimum konvergieren, davon bin ich überzeugt. Denken Sie nur einmal an das Smartphone: Anfangs war die Wischfunktion auf Touchscreen-Displays etwas völlig Neues und noch nie Dagewesenes. Jetzt ist die Funktion auf beinahe allen Telefonen verfügbar. Dasselbe wird auch bei den Autos geschehen.

Wird es also einheitlich gestaltete automatisierte Fahrzeuge geben?

Hohm: Es wird eine Standardisierung der Grundlagen erfolgen, das heißt, wenn Sie ein Auto in New York fahren können, dann wird das auch mit einem Mietauto, beispielsweise in Bangladesch, möglich sein. Für individuelle Lösungen wird jedoch auch genügend Raum bleiben.

Filzek: Die Fahrzeughersteller werden das Aussehen und Verhalten von Signalen und Bedienelementen weiterhin nach ihren Wünschen gestalten können. Es wird zudem Lösungen geben, mit denen die Schnittstellen maßgeschneidert an die Anforderungen einzelner Kunden angepasst werden können, um ein ideales Benutzererlebnis zu schaffen – ganz unabhängig vom Standort des Fahrers.

Automatisierte Fahrzeuge werden erst auf die Straße gelangen, wenn der entsprechende rechtliche Rahmen dafür geschaffen ist. Die Regulierungstätigkeiten erfolgen in den verschiedenen Ländern unterschiedlich schnell. Sehen Sie die Gefahr, dass Europa hinter die USA oder Asien zurückfällt?

Hohm: Ich glaube nicht, dass wir uns diesbezüglich Sorgen machen müssen. In Nordamerika gibt es einige Staaten, in denen die Regulierung schnell vorangetrieben wurde und die mit großem Mut Rahmenbedingungen geschaffen haben, die sehr vorteilhaft für die Entwicklung des automatisierten Fahrens sind. Das sind großartige Beispiele, die uns in Europa als Impuls dienen sollten, dasselbe Tempo sowie denselben Mut und Pragmatismus an den Tag zu legen. Es ist sicherlich noch nicht zu spät, diese Länder einzuholen. In Deutschland gab es in jüngster Zeit sehr vielversprechende politische Initiativen. Aber wir müssen dafür sorgen, dass diese Initiativen nicht in guten Absichten steckenbleiben. Es ist Zeit zu handeln!

Was wird von den Regierungen gefordert? Was ist das drängendste Anliegen?

Filzek: Tatsächlich stellen die rechtlichen Einschränkungen das größte unmittelbare Hemmnis dar. In Deutschland ist es beispielsweise verboten, ein automatisiertes Lenksystem bei Geschwindigkeiten über 10 km/h zu verwenden. Das ist ein Problem, das etwa in Nevada nicht besteht. Und das muss sich ändern. Diese Änderungen müssen europaweit erfolgen. Es ist nicht sehr hilfreich, wenn die automatisierte Fahrt stets an der
Landesgrenze endet.

Hohm: Darüber hinaus müssen die Straßenverkehrsvorschriften an die neue Technologie angepasst und Haftungsfragen geklärt werden. Ich sehe die Politik in der Pflicht, die Grundlagen für die Einführung einer
Technologie zu schaffen, die viele Vorteile für die Gesellschaft birgt.

Die Regierungen müssen nicht nur für die entsprechende Regulierung sorgen. Wie sieht es mit der zugehörigen Infrastruktur aus?

Filzek: Das ist ein weiterer wichtiger Punkt. Soll ein Fahrzeug autonom fahren, muss auch die Verkehrsinfrastruktur verbessert werden. Ein Beispiel hierfür ist eine lückenlose Verfügbarkeit des Highspeed-Internetzugangs, um eine stabile Anbindung des Fahrzeugs an den Server zu gewährleisten. In Bezug auf Fahrbahnmarkierungen und Straßenschilder müssen bestimmte Anforderungen erfüllt werden. Wir müssen den Infrastrukturelementen auch eine aktive Kommunikation mit dem Fahrzeug ermöglichen. Fahrzeug-zu-X-Kommunikation ist hier der Schlüsselbegriff.

Hohm: Deutschland hat mit einer großartigen Initiative, dem digitalen Testfeld auf der Autobahn A9 in Bayern, auf der diese Technologien unter realen Bedingungen erprobt werden können, einen Schritt vorangemacht.

Wir sind am Ende unseres Gesprächs angekommen. Eine letzte Frage. Blicken Sie einmal in die fernere Zukunft: Wann werden vollständig autonome Fahrzeuge auf unseren Straßen unterwegs sein, ohne dass eine menschliche Interaktion erforderlich ist? Werden Sie und ich das noch erleben?

Filzek: Die Frage ist nicht länger, ob das überhaupt geschehen wird, sondern wann es geschehen wird. Aber es wird wahrscheinlich mehr als 15 Jahre dauern.

Hohm: In bestimmten Fällen, beispielsweise auf Autobahnen, wird die Technologie früher zum Einsatz kommen. Aber ich stimme mit Björn Filzek überein, dass wir erst nach dem Jahr 2030 Fahrzeuge sehen werden, die in jeder Situation vollständig autonom fahren. Erleben werden wir es auf jeden Fall noch! Dazu bin ich jedenfalls fest entschlossen!

Vielen Dank für das Interview.

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