Kollaboratives Kfz oder wie sich ein Auto innerhalb von nur vier Monaten entwickeln lässt

Das Team der Emm! solutions GmbH hat es geschafft innerhalb von nur vier Monaten ein eigenes Auto zu entwickeln und den Prototyp des „ILO 1“ auf vier Räder zu stellen. Der Clou dabei: Über eine webbasierte Software wurde die Produktion und Entwicklung der Teile für das Konzeptleichtbaufahrzeug gesteuert und Konstruktionsaufgaben in einem Netzwerk aus Lieferanten verteilt.

Dank einheitlicher digitaler Kommunikation entlang der gesamten Prozesskette konnten zahlreiche Teile zeitgleich entwickelt und beispielsweise hinsichtlich ihres Gewichts optimiert werden.

Die Landesagentur für Leichtbau Baden-Württemberg präsentiert diese Innovation mit ihrem ThinKing im Januar 2018. Mit diesem Label gibt die Leichtbau BW GmbH monatlich innovativen Produkten oder Dienstleistungen im Leichtbau aus Baden-Württemberg eine Plattform.

Wie sieht die Mobilität von morgen aus? Mit dieser knackigen Aufgabe beschäftigt sich das Start-up Emm! solutions GmbH. Hinter dem jungen Unternehmen aus Weil der Stadt steckt Armin Müller, der zu Beginn der Neunziger Projektleiter des ESP-Systems bei Daimler und zuletzt in leitender Funktion für Porsche tätig war. „Beim Thema Mobilität geht es darum, eine Transportaufgabe zu lösen. Diese erzeugt Verkehr – mit all seinen Problemen“, sagt Müller. Zusammen mit seinem Team hat er an einem neuen Mobilitätskonzept für den Individualtransport gearbeitet: Der „ILO 1“ ist ein kompaktes Konzeptleichtbaufahrzeug – wenige Zentimeter kleiner als der aktuelle Smart ForTwo. Im Prototyp findet derzeit eine Person Platz, in einer späteren Variante sollen zwei Personen befördert werden können.

Verkürzte Entwicklungszeit dank digitaler Entwicklungs- und Produktionskette

Um den „ILO 1“ zu realisieren, bestand die Herausforderung für das kleine Start-up vor allem darin, das Projektmanagement und die Produktionssteuerung möglichst schlank und effizient zu halten. „Wir wollten an Fähigkeiten und Know-how hinzugewinnen, aber nicht wachsen“, sagt Müller. Hier kommt das Product-Lifecycle-Management-System des ebenfalls noch jungen Unternehmens Cassini Systems Europe GmbH mit ins Spiel: Über deren webbasierte Software lief die gesamte Kommunikation mit den Lieferanten ab. Im System von Cassini können einzelne Teile oder Bauteilgruppen für einen bestimmten Lieferanten freigegeben werden. Dieser erhält dann Zugriff auf alle dort hinterlegten Dokumente, die für die Herstellung relevant sind, wie beispielsweise die CAD-Daten sowie genaue Spezifikationen, etwa was die Qualität, Strapazierfähigkeit oder das „erlaubte“ Gesamtgewicht des Teils anbelangt. „Mit diesen Daten kann sich der Hersteller gleich an die Konstruktion des Bauteils machen und viele Zwischenschritte, vor allem in der Kommunikation, entfallen dadurch. Diese Vorgehensweise haben wir bei unserem ‚ILO 1‘ erprobt“, sagt Müller. Denn für ihn gehörte zum Gesamtkonzept des „ILO 1“ auch die Frage, wie bei diesem Projekt Kollaboration möglichst schlank und effizient stattfinden kann.

Nach getaner Arbeit lädt der Lieferant seine Dateien wieder in das Online-System hoch und produziert das Teil. Es findet also automatisch eine digitale Dokumentation der Entwicklungsarbeit statt und der Datenaustausch erfolgt für alle beteiligten Akteure nachvollziehbar über diese Schnittstelle. „Die Besonderheit an diesem System ist, dass wir viele klassische Detailaufgaben in der Konstruktionsarbeit, etwa die Teile leichter zu machen oder ihre Funktion zu verbessern, unter den Lieferanten verteilt haben. Sie mussten also nicht von einer Firma allein geschultert werden und viele Prozesse konnten so parallel ablaufen. „Durch die Digitalisierung der Prozesskette und die Entwicklung sowie Produktion in einem Netzwerk aus mehreren Unternehmen hat man die Chance, die time-to-market zu verkürzen. Das ist ein enormer Werthebel“, erklärt Dr. Wolfgang Seeliger, Geschäftsführer der Leichtbau BW GmbH. Um das volle Potential ausschöpfen zu können, müsse jedoch wirklich die gesamte Prozesskette digitalisiert und der Datenaustausch standardisiert sein. „Dies eröffnet für den Leichtbau auch ganz neue Möglichkeiten, denn so können Produktion und Entwicklung zukünftig noch enger zusammenarbeiten. Es werden ganz andere Arbeitsweisen und Abläufe in die Unternehmen und die Lieferkette einziehen“, meint Seeliger.

Ohne Leichtbau kein „ILO 1“

Die Konstruktion des „ILO 1“ ist ein Paradebeispiel für Top-down-Konzeptleichtbau. „Wir sind mit einem konzeptionellen Ansatz an das Projekt herangegangen und haben uns gefragt, was nötig ist, um die Herausforderung der Mobilität zu erfüllen. Unser Auto sollte außerdem so leicht wie möglich werden, um energieeffizient und ressourcenschonend unterwegs zu sein“, sagt Armin Müller. Ohnehin ist das Thema Gewicht beim „ILO 1“ eine ganz essentielle Frage, denn er darf nur maximal 450 Kilogramm auf die Waage bringen, um eine Straßenzulassung zu bekommen. „Wir mussten jedes Teil hinsichtlich seiner Funktion optimieren und leichter machen, sonst hätte das Gesamtsystem nicht funktioniert und wir wären nicht unter die 450 Kilogramm gekommen“, erklärt Müller.

„Der ‚ILO 1‘ ist ein gutes Beispiel, wie gerade der Leichtbau im Hinblick auf die Konstruktion eines Autos ein zentraler Möglichmacher sein kann, um ein Fahrzeug neu zu denken beziehungsweise im Fall des ‚ILO 1‘ durch die Gewichtseinsparungen überhaupt erst realisierbar zu machen“, sagt Dr. Wolfgang Seeliger. Die Außenhaut des „ILO 1“ besteht aus einem sehr dünnen CFK-Laminat. „Im ‚ILO 1‘ stecken viele Bauteile, die wir per Metall- und Kunststoff-3D-Druck aus dem CAD haben herstellen lassen“, erklärt Müller. Da der „ILO 1“ elektrisch angetrieben wird, war das Gewicht der Batterie auch ein Thema. Doch durch ein effizientes Energiemanagement auf Softwareseite konnte die Entwickler das Batteriegewicht senken. Mit einer Akkuladung kommt der „ILO 1“ auf eine Reichweite von 80 Kilometern. Zudem haben die Entwickler bei der Verlegung der Kabelbäume auf kurze Wege und möglichst wenig Materialeinsatz geachtet.

50 Prozent weniger Verkehr

„Der ‚ILO 1‘ ist derzeit das kleinste, kompakteste Mobilitätskonzept”, sagt Müller. Mit 1,3 Meter Breite und 2,3 Meter Länge belegt er beim Parken eine Fläche von nur rund drei Quadratmetern. Ein normaler Pkw kommt dazu im Vergleich auf acht bis zehn Quadratmeter Fläche. „Wenn nur noch ILOs unterwegs wären, dann würden in zahlreichen Städten auf einen Schlag viele Flächen frei werden und man hätte mit unserem Auto kein Parkplatzproblem mehr, denn auf einen normalen Pkw-Parkplatz passen zwei ILOs – und der Verkehr würde sich halbieren“, sagt Müller. Beim Thema Mobilität spielt vor allem die Frage des Fahrzeuggewichts eine entscheidende Rolle, also wie viel Kilogramm bewegt werden müssen, um eine Person zu befördern. Mit vier beziehungsweise fünf beförderten Personen ist ein Pkw selten ausgelastet. „Im Schnitt sitzen beispielsweise im Berufsverkehr nur 1,1 Personen im Fahrzeug. Bei einem normalen Pkw müssen für den Transport einer Person rund eineinhalb Tonnen an Fahrzeuggewicht bewegt werden, beim ‚ILO 1‘ sind es nur 450 Kilogramm“, rechnet Müller vor. Noch besser würde das Konzeptfahrzeug abschneiden, wenn man zwei Personen als Passagier unterbringt. Das geringe Gewicht des Fahrzeugs sorgt für einen geringeren Kraftstoffverbrauch und weniger CO2-Emissionen.

Technik für autonomes Fahren ist bereits an Bord

Momentan gibt es drei Prototypen des „ILO 1“, die alle auch eine Straßenzulassung haben. Einer davon steht im Büro von Emm! solutions im Firmensitz in Weil der Stadt und die Entwickler arbeiten weiterhin an kleinen Verbesserungen. Mit entsprechender Programmierung kann man den „ILO 1“ auch hochautomatisiert fahren lassen, denn er hat bereits verschiedene Systeme an Bord verbaut, die ihm helfen, seine Umgebung wahrzunehmen und sich darin autonom zu bewegen. Dazu gehören beispielsweise Radar- oder Ultraschallsensoren, Kameras und ein Lidar-System zur Objekterkennung sowie Abstands- und Geschwindigkeitsmessung.

Doch die Vision von Armin Müller und seinem Team für den „ILO 1“ geht noch viel weiter: Das Fahrzeug soll mit in der Umgebung fest installierten Sensoren und einem Leit-System interagieren und kommunizieren, damit es intelligent und autonom anhand des aktuellen Verkehrsflusses durch die Stadt navigiert werden kann. Mit dem straßentauglichen „ILO 1“ haben die Entwickler von Emm! solutions den ersten Schritt in diese Richtung bereits gemacht.

www.emm-solutions.de

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