Lastentransport: aber bitte mit Rad!

Verstopfte Straßen, kaum Parkmöglichkeiten, steigende CO2-Emissionen: Die Forderungen nach einer Verkehrswende in Deutschland werden stetig lauter – und Lastenräder könnten viele dieser Probleme lösen.

Mehr und mehr Familien, Handwerker oder Lieferdienste erkennen die Vorteile und steigen in den Metropolen vom Wagen auf das Lastenrad um. Dafür erhalten sie mancherorts sogar Subventionen. Der pressedienst-fahrrad hat sich mal umgesehen.

Über Lastenfahrräder kann Thomas Schmidt ewig reden. Der gebürtige Norddeutsche betreibt in München zusammen mit dem Abiturienten Raphael Draeger das Verleihsystem „Freie Lastenradler“. Das Konzept: In der ganzen Stadt stehen an verschiedenen Abholstationen kostenlos Cargo-Bikes zur Tagesleihe. Finanziert wird die Idee über Spendenbeiträge; genutzt werden die Räder von jedermann. „Studenten fahren damit zur Isar, Großeltern machen einen Ausflug mit den Enkeln, Familien nutzen es für den Großeinkauf“, beschreibt Schmidt. Die Flotte soll in diesem Jahr von neun auf elf Fahrzeuge erweitert werden. Das Transportrad erfährt so mehr Aufmerksamkeit. „Ich habe noch nie so viele Lastenräder in München gesehen wie in letzter Zeit“, bestätigt er gegenüber dem pressedienst-fahrrad.

Auto Schrott, Geld her

Schmidt bezeichnet die bayerische Metropole deshalb gerne als die „Lastenradhauptstadt Deutschlands“. Selbst die Stadtverwaltung hat das Potenzial erkannt und subventioniert seit Anfang 2017 den privaten Kauf von E-Lastenrädern mit 1.000 Euro. Zusätzliche 1.000 Euro gibt es, wenn man sein Auto dafür verschrottet. „Wir finden diese Förderung eine gute Sache und würden uns freuen, wenn sich mehr Städte dem Beispiel Münchens anschlössen. Cargo-Bikes sind ein, wenn nicht sogar das wichtigste Fahrzeug, um die Verkehrsproblematik in den Großstädten langfristig zu verbessern“, erklärt Heiko Müller von Riese & Müller. Der E-Bike-Hersteller aus Darmstadt ist seit 2015 exklusiver Kooperationspartner von Carvelo2go. Das schweizerische Unternehmen bietet ein Sharing-Programm für E-Lastenräder und arbeitet dabei mit der Mobilitätsakademie des Touring Club Schweiz zusammen. So können in vielen Städten und Gemeinden in der Schweiz sowohl Haushalte als auch Betriebe über die organisierte Plattform ein E-Lastenrad für den Tageseinsatz leihen. Riese & Müller wäre auch für Kooperationen in Deutschland offen, wenn die Rahmenbedingungen passen, wie Geschäftsführer Heiko Müller verrät: „Das Thema ist brandaktuell und gibt eine Menge mehr her.“

Unterstützung erhalten solche Ideen durch den Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC e. V.), den Verbund Service und Fahrrad (VSF g. e. V.) und den Zweirad-Industrie-Verband (ZIV e. V.). In einer gemeinsamen Erklärung sprechen sich die Radfahrverbände für die stärkere Förderung zur Anschaffung von E-Cargo-Bikes (u. a. mit Kaufprämien) aus, „um eine Entlastung der Innenstädte vom Lieferverkehr durch Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor zu erreichen“.

Für jeden etwas dabei

Das Lastenrad kann dabei auch gerne den Zweitwagen ersetzen. Die Räder nehmen weniger Platz weg als ein Auto und verursachen geringere Unterhaltskosten. Auch bei der Auswahl gibt es eine verblüffende Vielfalt. Wer schnell und wendig unterwegs sein möchte, aber dabei eine große Ladefläche bevorzugt, für den ist das sogenannte Long-John-Lastenrad geeignet. „So kann der Einkauf für die Familie oder für eine Party erledigt werden. Und mit E-Unterstützung fährt es sich dann noch leichter“, meint Müller. Selbst ein Doppelkindersitz kann auf der Ladefläche (z. B. beim „Packster“ von Riese & Müller, ab 3.999 Euro) montiert werden.

Eine Großfamilie greift gerne zum dreirädrigen Lastenrad, das Platz für bis zu sechs Kinder bietet. In der Handhabung zwar etwas sperrig, verfügen diese Räder dafür über einen enormen Stauraum. Dem Fahrrad auch im Fahren sehr stark ähneln die sogenannten Longtails, also Lastenräder mit überdimensionalem Gepäckträger (z. B. Surly „Big Dummy“, ab 2.499 Euro). Der Hinterbau ist dabei verlängert, was die Aufnahme von mehreren Packtaschen oder zwei Kindersitzen erlaubt. „Die Räder sind äußerst praktisch, vor allem aber erfordern sie so gut wie keine Umgewöhnung gegenüber den anderen Fahrrädern im Haushalt“, so Daniel Gareus vom Surly-Vertriebspartner Cosmic Sports. Für die Mitnahme von alltäglichen Gepäckstücken und kleineren Lasten eignen sich hingegen auch zusätzliche, feste Anbauten an Lenker und Gepäckträger. Das „Eload“ von Winora (ab 3.199 Euro) beispielsweise ähnelt eher einem Postrad, hat aber zusätzlichen Stauraum zum normalen Gepäckträger. Es rollt auf kleineren 24-Zoll-Rädern, was die Gepäckträger tiefer positioniert und so das Handling sowie das Beladen des Rades vereinfacht. Wer allerdings nur hin und wieder schwerere Lasten zu transportieren hat, greift gerne zum Fahrradanhänger (z. B. Croozer „Cargo“, 259 Euro).

Parkplätze vor der Kita schaffen

Damit der Erfolg des Lastenrades weitergehen kann, sind jedoch die Kommunen gefragt. Witterungsgeschützte, überdachte Abstellmöglichkeiten für die doch etwas längeren bzw. breiteren Räder etwa vor Kitas oder Supermärkten sind eine Möglichkeit. „Wir müssen gemeinsam Lösungen schaffen, damit die Infrastruktur an die wachsenden Bedürfnisse der Radfahrer angepasst wird“, meint Andreas Hombach vom Stadtmöblierer WSM. Aber nicht nur Parkmöglichkeiten zählen dazu, auch die Straßen und Radwege sollten an die Bedürfnisse der Lastenräder und des zunehmenden Radverkehrs angepasst werden. Fahrradstraßen sind hier ein erster Anfang.

Das Paket kommt per Rad

Und schneller Handlungsbedarf besteht: Paketzusteller erforschen gerade in ersten Städten, ob eine Zustellung per Lastenrad anstelle eines Sprinters sinnvoll ist. DPD hat Versuchsprojekte in Hamburg und Nürnberg, GLS in Nürnberg und Düsseldorf, TNT testet in Mailand und Turin, DHL Express unterstützt seit Anfang März ein Projekt in Frankfurt am Main. Und bei Hermes wurde Hamburg für einen Testversuch auserkoren. „Ob wir hier im größeren Stil einsteigen, wird sich in den nächsten Wochen zeigen“, so eine Firmensprecherin. Die Vorteile: Keine CO2-Emissionen, keine Parkplatznot und auch kleine Gässchen in Altstädten könnten beliefert werden. Zudem erhöht sich auch der Zustelltakt, was die Fahrer freuen dürfte.

Wachstumsfeld: gewerbliche Flotten

Die wachsende Nachfrage der gewerblichen Kunden stellt jedoch die Fahrradhersteller vor neue Herausforderungen. Auf der Messe Taipeh Cycle Show präsentierte deshalb Antriebshersteller Gates zusammen mit zwei weiteren Industriepartnern ein praktisches Nutzfahrrad für den Flottenbetrieb. „Dabei werden Schwächen wie mechanische Defekte minimiert, um die Wartungskosten der Flotte zu verringern“, erklärt Frank Schneider von Gates den Hintergrund. Gerade durch den verbauten „CDX“-Carbonriemenantrieb sollen die Wartungsintervalle weit gehalten werden. Durch einen festverbauten Aluminiumkorb am Lenker und ein zulässiges Gesamtgewicht von 200 Kilogramm sind die Räder auf den speziellen gewerblichen Flotteneinsatz vorbereitet.

Verleihangebote fördern Aufmerksamkeit

Durch solche Aktionen sind Lastenräder in Zukunft aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Seit Anfang 2013 verbreiten sich aber auch deutschlandweit ehrenamtliche Ideen wie die Aktion „Freie Lastenräder“ mit wechselnden Stationen in verschiedenen Stadtteilen. Mittlerweile wurde die Idee in 33 deutschen Städten aufgegriffen, zwölf weitere sind in Planung. Für Thomas Schmidt ein Weg, damit das Thema weiterhin an Fahrt behält. Er selbst arbeitet gerade an der Idee, Handwerkern und Kindergärten E-Lastenräder für eine Woche zum Testen zu überlassen. „Ich hoffe, sie erkennen die Vorteile und entscheiden sich danach zu einer festen Anschaffung“, meint der Lastenrad-Fan.

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