Group of Automobile Design Engineers Working in Virtual Reality 3D Model Prototype of Electric Car Chassis. Automotive Innovation Facility: 3D Concept Vehicle Generated with 3D CAD Software.

Next-Gen-Fahrzeugentwicklung: Modellbasiert und datenegtrieben

Mit der Entwicklung des Fahrzeugs zum Rechenzentrum auf Rädern verbreitet sich zunehmend Systems Engineering als interdisziplinärer Ansatz zur Beherrschung der gestiegenen Komplexität. Doch um diesen Ansatz noch effektiver zu machen und gesetzliche Compliance-Richtlinien befolgen zu können, muss die heterogene Toollandschaft integriert werden und eine umfassende Nachverfolgbarkeit bieten. Modellbasiertes Systems Engineering löst diese Herausforderungen und bereitet den Weg zum datengetriebenen Engineering.

Text: Heinz Baier, Head of Industry Automotive bei NTT DATA DACH

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Bei der Einfahrt identifiziert mich mein Fahrzeug gegenüber dem IT-System im Parkhaus, beim Verlassen begleicht es die Parkgebühr automatisch. Der Hauptmonitor im Armaturenbrett zeigt mir währenddessen an, dass ein Update für die Bremsanlage verfügbar ist: Eine Optimierung des elektronisch gesteuerten Bremsdrucks verringert das Aufheizen der Bremsbeläge bei wiederholtem Bremsen. Auf Knopfdruck lasse ich das Update installieren. Nach dem Abendessen buche ich via Smartphone für den nächsten Tag ein Upgrade für die Motorleistung und Batteriekapazität, schließlich geht es über Schweizer Serpentinen in den Urlaub.

SMART UND VERNETZT: DAS FAHRZEUG DES 21. JAHRHUNDERTS
Das Fahrzeug des 21. Jahrhunderts ist ein smartes, vernetztes Produkt. Die Elektrifizierung des Antriebsstrangs und das autonome Fahren werden diesen Trend nur noch weiter verstärken. Während dadurch für die Nutzerschaft bedeutende Mehrwerte entstehen, bedeutet diese Entwicklung für die Hersteller eine Explosion der Komplexität bei Anforderungen, Planung, Umsetzung und Tests. Systems Engineering als interdisziplinärer Entwicklungsansatz, der die Domänen Mechanik, Elektronik und Software über alle Entwicklungsschritte hinweg integriert, ist die notwendige Reaktion. Doch die heterogenen IT-Landschaften, die neuen gesetzlichen Anforderungen, Normen und Standards für die Dokumentation im Entwicklungsprozess wie Automotive SPICE oder ISO 26262 und die Nachfrage nach skalierbaren Lösungen für die datengetriebene Entwicklung der Zukunft erfordern jetzt, über den nächsten Schritt nachzudenken: Modellbasiertes Systems Engineering bringt das Systems Engineering in die datengetriebene Zukunft.

MODELLBASIERTES SYSTEMS ENGINEERING: KOMPLEXITÄT BESSER MANAGEN
Der Systems-Engineering-Prozess steht und fällt mit den Spezifikationen der Anforderungen in allen Teilbereichen. Je später man einen Fehler in der Entwicklung feststellt, desto teurer wird er. Daher gilt hier in mehr als einem Sinn: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Statt wie in herkömmlicher Methodik Anforderungen rein textuell zu spezifizieren, setzt das modellbasierte Systems Engineering auf formal überprüfbare Modelle via einer standardisierten Modellierungssprache wie SysML (Systems Modeling Language). Text ist potenziell fehlerbehaftet und immer interpretationsbedürftig, dadurch ist er für sich allein keine optimale Grundlage für das abteilungsübergreifende Umsetzen komplexer Projekte. Formale Modelle, die von Computersystemen ausführbar sind, erlauben es dagegen, bereits früh in der Spezifikationsphase funktionale Prototypen zu simulieren und zu verifizieren. Dies erlaubt es zudem, sämtliche Abhängigkeiten zu dokumentieren und Änderungen nachzuvollziehen.

Die Vorteile zeigen sich zum Beispiel bei einem großen süddeutschen Premium-Fahrzeughersteller, der mit Hilfe von NTT DATA das modellbasierte Systems Engineering auf einer globalen Entwicklungsplattform einsetzt. Eine durchgängige und nachvollziehbar dokumentierte Prozesskette von der Kundenfunktion über die Spezifikation bis hin zur Validierung ermöglicht es, die Komplexität des Entwicklungsprozesses signifikant besser zu managen. Zudem stellt dieses Vorgehen sicher, dass regulatorische Anforderungen zum Beispiel bezüglich Emissionen, Software Updates und Cyber Security eingehalten werden, und optimiert die Kommunikation sowie Qualitätssicherung. Nicht zuletzt werden System- und Medienbrüche zwischen den verschiedenen Entwicklungsdomänen minimiert. Ziele, die derzeit viele Hersteller beschäftigen. Im Fokus stehen dabei besonders Überlegungen, wie sie ihre organisch gewachsene IT-Struktur mit den derzeitigen Anforderungen in Einklang bringen können. Mit der Blaupause für eine Integrationsarchitektur SENSEI bietet NTT DATA Beratungs- und IT-Services für den Aufbau einer echten modellbasierten Systems-Engineering-Lösung, die auf der vorhandenen Infrastruktur aufbaut und das entsprechende Know-how nutzt.

AUF DEM WEG ZUM DATA-DRIVEN ENGINEERING
Ein weiterer Vorteil dieses Ansatzes ist, dass er den Weg für den darauffolgenden Schritt bereitet: data-driven Engineering. Ein Produkt in der heutigen Automobillandschaft ist niemals wirklich „fertig“. Das liegt einerseits
an der konstanten Weiterentwicklung und den daraus folgenden Updates, andererseits an der Geschwindigkeit, mit der Produkte auf den Markt gebracht werden müssen. Autonomes Fahren ist dafür das beste Beispiel: Es ist zu komplex, als dass sich 100 Prozent der notwendigen Anforderungen in der Entwicklungsphase definieren lassen. Umso wichtiger wird es in Zukunft, Daten aus der Nutzungsphase in die Produktplanung und -entwicklung zurückzuführen, um dann fundierte Entscheidungen treffen zu können. Modellbasiertes Systems Engineering legt für diese Zukunft bereits heute die Grundlage, reduziert Komplexität, Fehleranfälligkeit und Kosten und unterstützt Hersteller bei der Erfüllung der Compliance-Anforderungen.

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30.06.2021   |  

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