Testen was das autonome Fahrzeug hält

Das VIRTUAL VEHICLE arbeitet mit seinen virtuellen und realen Testmöglichkeiten maßgeblich an der Zukunft des automatisierten Fahrens. Erst jüngst wurde mit ZF Friedrichshafen und Nvidia in San Jose bei der Nivida GPU Conference GTC der aktuelle Entwicklungsstand des “Dream Car“ -Prototyps präsentiert, einem selbstlernenden, auf KI basierendem automatisiertem Fahrzeug.

In Österreich bietet das Grazer Forschungszentrum schon zwei stark nachgefragte Testfahrzeuge als Forschungsplattform für die Automobilindustrie. Damit kann nun auch die fürs autonome Fahren wichtige Kommunikation zwischen Fahrzeugen getestet werden. Für die virtuellen Tests wird gerade ein neuer, revolutionärer Fahrsimulator, der von VI-grade entwickelt wurde, vom VIRTUAL VEHICLE adaptiert. Die Entwicklung im Bereich autonomes Fahren schreitet rasant voran. Bis aber Autos wirklich in allen Situationen ganz ohne Fahrer fahren können, ist noch viel zu tun.

Schon das erste Fahrzeug des VIRTUAL VEHICLE, ein Ford Mondeo Hybrid, der im Vorjahr in Betrieb genommen wurde, sorgt auf den Teststrecken und Fachmessen regelmäßig für Aufsehen. Seit kurzem wird ein zweiter Ford Mondeo für Tests für automatisiertes Fahren eingesetzt. Dabei übernimmt in diesem „Automated Drive Demonstrator“ der Computer zunehmend die Steuerung. Modernste Sensortechnologie bietet eine lückenlose 360-Grad-Sicht, um autonome Fahrfunktionen auf Herz und Nieren zu testen. Am VIRTUAL VEHICLE wurden dazu Algorithmen und die Embedded Intelligence entwickelt sowie eine Rechenplattform von Nvidia verbaut, um nun unterschiedliche „Automated Driving“ Funktionen zu testen.

„Autonomes Fahren ist heute das große Thema und sicher einer der größten Innovationstreiber der Fahrzeugindustrie“, erklärt VIRTUAL VEHICLE Geschäftsführer Dr. Jost Bernasch „bis es aber soweit ist, müssen noch viele Tests und Weiterentwicklungen durchgeführt werden, um höchste Zuverlässigkeit und Sicherheit zu gewähren.“ Dazu werden unterschiedliche Methoden fürs autonome Fahren getestet, weshalb das neue Testfahrzeug bewusst einen etwas anderer Ansatz fährt. „Das ist die Aufgabe eines Forschungszentrums, die bestmöglichen Varianten aufzubereiten“, erklärt Daniel Watzenig, Leiter des Bereichs Electrics/Electronics & Software am VIRTUAL VEHICLE.

Reale und virtuelle Welten verknüpfen

Ebenso wichtig sind bei der Entwicklung autonomer Fahrfunktionen virtuelle Tests. Dazu wird im Juli 2018 im Living Innovation Lab des VIRTUAL VEHICLE in Graz der statische Fahrsimulator des Spezialisten VI-grade installiert. Die Simulationslösungen von VI-grade gelten als technologisch führend. „Wir bauen mit VI-grade eine strategische Kooperation für Antriebssimulatortechnologien auf und wollen zudem in weiteren Forschungsaktivitäten zusammenzuarbeiten“, erklärt Bernasch. Das Hauptziel ist die Entwicklung von Technologien für hochmoderne Demonstrationsplattformen. „Wir sind stolz da-rauf, im Rahmen dieser Partnerschaft unsere professionellen statischen Fahrsimulatorlösungen ein-bringen zu können”, betont Jürgen Fett, Managing Director von VI-grade. Der neue statische Simulator ermöglicht, die Lücke zwischen physikalischer Prüfung und Simulation im Automobilbau zu schließen.

Stille Post unter Fahrzeugen für mehr Sicherheit und Akzeptanz

Da mittlerweile schon zwei mit High-Tech bestückten Testfahrzeuge unterwegs sind, lassen sich nun die fürs autonome Fahren wichtige Kommunikation von Fahrzeug zu Fahrzeug testen. Bei „Car2Car“ informieren sich die Fahrzeuge beispielsweise genau über ihre Route, um Kollisionen zu vermeiden und den eigenen Weg zu optimieren. Sie warnen auch gegenseitig vor Staus und Gefahren wie Glatteis. Zur Testflotte des VIRTUAL VEHICLE kommt dieses Jahr noch ein drittes Fahrzeug hinzu, wobei nun be-wusst eine andere Fahrzeugkategorie gewählt wurde. Dieses neue Testfahrzeug wird besonders auf Österreichs erster Teststrecke “ALP.Lab” im Raum Graz wichtige reale Informationen für sichere auto-nome Fahrzeuge „erfahren“, welche zugleich virtuelle Simulationsmodelle laufend verbessern. Beglei-tend dazu wird in internationalen Forschungsprojekten mit Partnern aus der Industrie und Forschung an der Weiterentwicklung und kontinuierlichen Selbstdiagnose von Architekturen fürs automatisierte Fahren gearbeitet.

Auf europäischer Ebene laufen seit knapp einem Jahr etwa das Forschungsprojekt „AutoDrive“ zur Entwicklung elektronischer Bauelemente. Ziel ist es, die maximale Zuverlässigkeit von aktiven Sicherheitssystemen und automatisierten Fahrfunktionen zu erreichen. Im Projekt arbeiten 60 Partner mit. Weitere 12 Partner arbeiten gemeinsam am „TrustVehicle“, um Fahrzeuge etwa auch für extreme Wetterbedingungen und gemischten Verkehr fit zu machen und so auch die Akzeptanz zu erhöhen. Im Mai startet das neue Projekt „PRYSTINE“ bei den Grazer Forschern. Projektpartner des VIRTUAL VEHICLE sind Infineon, BMW, Ford, Maserati, Nokia, CRF, TTTech und die AVL.

Das VIRTUAL VEHICLE, 2003 gegründet, firmiert seit 2008 als K2-Forschungszentrum im Rahmen des COMET-Programms und arbeitet auf diesen Gebieten schon seit langer Zeit. Besonders bei Simulationen und der Kombination von virtuellen und realen Tests zählt das Forschungszentrum mit rund 200 Mitarbeitern zur internationalen Spitze. Im Bereich automatisiertes Fahren arbeiten die Grazer Experten mit zahlreichen Autoherstellern, Zulieferern und Forschungsinstitutionen zusammen. Heuer starte-te am VIRTUAL VEHICLE das neue, 8-jährige COMET-Forschungsprogramm „K2 Digital Mobility“, das sich besonders mit der digitalen Transformation von Fahrzeugen und dem automatisierten Fahren beschäftigt.

Im Traum lernen

Ein besonders Highlight des Grazer Forschungszentrums ist das „Dream Car“, ein intelligentes Fahr-zeug, das auf Basis von Daten anderer Autos, die irgendwo anders auf der Welt unterwegs sind, seine Fahrkünste verbessert, ohne selbst zu fahren. “Das Fahrzeug kann so ‚lernen‘, wie eine Verkehrssituation zu interpretieren ist, ohne tatsächlich im Verkehr fahren zu müssen. Lenkwinkel, Bremsen und Beschleunigen entsprechen genau der übertragenen Fahrt“, beschreibt Watzenig diese neue Technologie. Gemeinsam mit der ZF Friedrichshafen AG und Nvidia wurde dafür in nur sechs Monaten ein auf künstlicher Intelligenz basierender Level-4-Prototyp für urbane Szenarien entwickelt und jüngst auf Nvidia’s GPU Technology Conference (GTC 2018) im Herzen des Silicon Valley präsentiert. Es ist mit Kameras, Laserscannern und Radarsensoren für eine redundante und zuverlässige 360-Grad-Umfelderfassung sowie der „ZF ProAI-Plattform“ ausgestattet. Die Plattform ermöglicht die Entwicklung neuer Funktionen mit Künstlicher Intelligenz. Dazu hat auch das Virtual Vehicle einiges beigetragen.

Sicherheit geht vor

Weltweit werden zahlreiche Tests im Bereich automatisiertes Fahren durchgeführt und laufend wer-den neue Kooperationen und Übernahmen angekündigt. Bislang war bei den Tests immer ein Fahrer zur Sicherheit an Bord. Seit April dürfen etwa in Kalifornien erstmals Autos ohne Lenkrad, Pedale und ohne Sicherheitsfahrer für Tests öffentlich fahren. Dabei müssen diese Fahrzeuge der höchsten Klasse für automatisiertes Fahren freilich zahlreiche Sicherheitsanforderungen erfüllen und Tests bestehen. Da geht es auch um Themen wie Cyberattacken, eine Blackbox, die alles genau aufzeichnet und eine permanente Funküberwachung, die etwa der Polizei die Möglichkeit verschafft, ein Fahrzeug zu stoppen.

„In Österreich oder Deutschland sind erst sehr eingeschränkte Tests möglich“, erklärt Watzenig. Da die Behördenwege in Europa generell sehr lange benötigen, testen auch die meisten Autohersteller ihre autonomen Fahrzeugtechnologien in den USA. In Österreich muss jeder Test – etwa für einen Stauassistenten – beantragt werden, der von einem Gremium geprüft wird. Bis zur Freigabe benötigt es dann rund drei bis fünf Monate. Und die Tests sind örtlich und zeitlich beschränkt. Im Vergleich zu den USA wird dadurch die Weiterentwicklung von automatisierten Fahrfunktionen in Europa stark eingebremst. Trotzdem sind die gerade neuen Teststrecken wie „ALP.Lab“ sehr wichtig. Zwar wird heute schon vieles mit Simulationen entwickelt, aber die ganze Wirklichkeit kann nur mittels realer Tests „erfahren“ werden. Die Sicherheit muss natürlich allem voran gestellt werden.

Der Weg zum Robo-Auto

Heuer noch soll mit dem neuen Audi A8 das erste Serienfahrzeug mit Fahrfunktionen der Autonomie-stufe 3 auf den Markt kommen. Level 3 auf der Skala von 0 bis 5 bedeutet, dass anders als bei Level 2 Funktionen (automatisiertes Einparken, Spurhalten oder Abbremsen) der Fahrer sein Fahrzeug nicht mehr dauernd überwachen muss. Das Auto überholt etwa auf der Autobahn selbstständig. Bei Level 4 übernimmt der Computer dann dauerhaft die Führung des Fahrzeuges und fordert den Fahrer nur zur Übernahme auf, wenn das System bei besonders komplexen Situationen überfordert ist. Level 5 ist dann schließlich das völlig fahrerlose Robo-Auto.

Aber schon bis zum echten Level-3-Fahrzeug wird es noch etwas dauern. So gelten für den Audi A8 diverse Einschränkungen. Der Stauassistent darf vorerst nur bis 60 km/h und auf der Autobahn aktiviert werden. Auflagen für die Zulassung wie die Geschwindigkeit oder die Strukturierung des Umfeldes (einfache Autobahn versus komplexe Kreuzungen in der Stadt) schränken die automatisierten Fahrzeuge noch stark ein.

„Es wird nicht so sein, dass morgen schon vollständige Level 3 Fahrzeuge am Markt kommen und die Level 4 Fahrzeuge schon in der Garage stehen“, so Watzenig, „davon sind wir noch weit entfernt.“ Besonders der Schritt auf Level 4 erfordert noch viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit. Viele einzel-ne Funktionen wie etwa auch ein Verkehrszeichenassistenzsystem gibt es zwar schon, aber all diese Einzelsysteme müssen auch perfekt miteinander für ein Level 4 Fahrzeug funktionieren, validiert und genehmigt werden. Das VIRTUAL VEHICLE ist hier besonders stark im Bereich Softwareplattformen (sog. Software Stack) für Level 4 Funktionen auch über 65 km/h engagiert , da hier besondere Redundanzkonzepte als Absicherung erforderlich sind. Watzenig abschließend: „Aktuell gibt es weltweit kei-nen Anbieter, der ein automatisiertes Fahrzeug aus einer Hand anbieten kann, also die relevanten Domänen Fahrzeugplattform, Drive-by-Wire, Sofstware Stack, Sensorik, Aktuatorik, FuSi (Funktionale Sicherheit) Konzept sowie eine umfassende Homologation erbringen kann.“

Was die nächsten Jahre bringen

Weitgehend automatisierte Fahrzeuge werden sich in den nächsten Jahren vor allem in gut strukturierten Umgebungen bei eher geringen Geschwindigkeiten bewegen. So genannte „People Mover“ sind beispielsweise in Singapur oder der Schweiz unterwegs und wurden auch schon in Österreich getestet. Die oft geforderte Vision von 100-prozentiger Sicherheit bei autonomen Fahrzeugen wird wohl trotz immer besserer Sensorik, superschneller Kommunikationssysteme und Künstlicher Intelligenz nie voll-ständig erreicht werden. Ein Restrisiko bleibt bei allen Systemen. Unbestritten ist, dass viele automatische Sicherheitsfunktionen wie Spurhaltesystem oder Abstandhalter schon heute die Anzahl der Unfälle deutlich reduzieren konnten. Derzeit sterben noch über 1,2 Millionen Menschen weltweit im Straßenverkehr. Bei uns ist die häufigste Unfallursache Unaufmerksamkeit und Ablenkung. Gerade hier können automatisierte Fahrfunktionen enorm viel zur Sicherheit beitragen. Noch dazu bringen autonome Autos schon bald mehr Entspannung – etwa in Staus – und Zeitgewinn.

Am VIRTUAL VEHICLE werden für die neue Welt der Mobilität mit Partnern Themen wie die Sensorik, Sensorauswertung, Sensorfusion, Datenfusion, der Nachweis, der funktionalen Sicherheit oder auch Projekte zur Mensch-Maschine-Schnittstelle vorangetrieben. Die Kombination virtueller Simulation und echten Tests beschleunigt dabei die Entwicklungsarbeit deutlich. Kein Anbieter kann heute all diese komplexen Themen abdecken. Deshalb vernetzt das VIRTUAL VEHICLE auch zahlreiche lokale, nationale und auch internationale Unternehmen, um Österreich im Bereich automatisiertes Fahren als eine der führenden europäischen Forschungsnationen zu etablieren.

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