Interview mit Alexander Hitzinger, Vorstand für Technische Entwicklung bei Volkswagen: „Selbstfahrende Autos sind eine Riesenchance“

Alexander Hitzinger, Vorstand für Technische Entwicklung bei Volkswagen Nutzfahrzeuge, verantwortet im Volkswagen Konzern die Entwicklung des autonomen Fahrens. Im Interview spricht er über die Zusammenarbeit mit Ford, technische Herausforderungen und künftige Geschäftsmodelle.

Autonomes Fahren gilt als hochkomplexe Entwicklungsaufgabe. Wann sehen wir fahrerlose Autos auf den Straßen?

Alexander Hitzinger: Demonstrationsfahrzeuge erleben wir schon heute, kleinere Flotten werden in naher Zukunft kommen. Davon muss man allerdings den großflächigen Einsatz von Serienfahrzeugen unterscheiden, die jederzeit robust funktionieren müssen. Bis dahin sind noch eine Reihe von technischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen zu lösen.

Was sind die größten Herausforderungen?

Hitzinger: Wir müssen an vielen Themen parallel arbeiten – von den Algorithmen über die Sensortechnik bis zur Cyber Security. Außerdem brauchen wir Lösungen für die vielen Spezialfälle, sogenannte Corner Cases. Ein Beispiel sind Geisterfahrer. Bevor ein Auto allein fahren kann, muss es auch mit ungeplantem Gegenverkehr auf der Autobahn umgehen können.

Praktisch alle Player setzen auf Kooperationen. Ist die Aufgabe zu groß für ein einzelnes Unternehmen?

Hitzinger: Mit Sicherheit ist es eine sehr große Aufgabe. Nicht nur wegen der technischen Herausforderungen, sondern auch wegen der hohen Investitionen. Partnerschaften haben den Vorteil, dass man die Ausgaben teilen kann. Das ist auch ein wichtiges Motiv für unsere Zusammenarbeit mit Ford und Argo AI.

Warum haben Sie sich gerade für diese Partner entschieden?

Hitzinger: Argo AI ist technologisch eines der führenden Unternehmen bei der Entwicklung eines selbstfahrenden Systems. Volkswagen und Ford verfügen über immense Erfahrung im Automobilbau. Künftig arbeiten die Hardware- und Softwareexperten der drei Unternehmen eng zusammen und können so gemeinsam zu optimalen Lösungen kommen. Wie eng die Kooperation sein wird, sieht man auch daran, dass Volkswagen die Autonomous Intelligent Driving GmbH (AID) mit mehr als 200 Fachleuten in die Zusammenarbeit einbringt. Insgesamt wird Argo AI damit künftig über rund 700 Spezialisten verfügen. Der AID-Sitz in München wird zum europäischen Technikzentrum des Gemeinschaftsunternehmens.

Wann hat der Kunde etwas davon?

Hitzinger: Wir sind überzeugt, dass wir zusammen nicht nur zu besseren, sondern auch zu schnelleren Ergebnissen kommen. Mitte des kommenden Jahrzehnts wollen wir mit der kommerziellen Nutzung des autonomen Fahrens beginnen. Die Plattform von Argo AI soll zum weltweiten Standard werden.

Viele Menschen fahren sehr gerne Auto. Warum ist autonomes Fahren überhaupt erstrebenswert?

Hitzinger: Studien zeigen, dass viele Autofahrer überfüllte Straßen und Stau als große Belastung empfinden. In selbstfahrenden Autos haben sie die Wahl: Sie können selbst lenken – oder die Aufgabe an den Roboter abgeben.

Wie sehen Geschäftsmodelle in Zeiten des autonomen Fahrens aus?

Hitzinger: Ich unterscheide zwei große Bereiche. Zum einen wollen wir auch weiterhin in großer Stückzahl hochwertige Autos an Privatkunden verkaufen. Am ehesten im Premiumsegment werden Kunden bereit sein, für ein selbstfahrendes Auto einen Aufpreis zu bezahlen, weil sie ihre Fahrtzeit besser nutzen können. Der zweite spannende Bereich sind Mobilitätsdienste. Das wird für uns künftig ein sehr interessantes Geschäftsfeld. Mit vollautonomen Fahrzeugen sinken die Betriebskosten für die Flottenbetreiber, was die Wirtschaftlichkeit deutlich verbessert. Wir erwarten darum, dass autonome Fahrzeuge zuerst in diesem Segment eingesetzt werden.

Experten erwarten, dass vollautonome Autos pro Tag mehr Fahrten erledigen und kürzere Standzeiten haben als heutige Fahrzeuge. Sind Sie nicht in Sorge um die Verkaufszahlen?

Hitzinger: Nicht unbedingt, denn die eingesetzten Autos fahren mehr Kilometer pro Tag und müssen deshalb nach kürzerer Zeit ersetzt werden. Hinzu kommt, dass das Bedürfnis der Menschen nach Mobilität nicht abnehmen, sondern eher noch zunehmen wird. Mit einer Reduzierung der insgesamt gefahrenen Kilometer rechne ich deshalb nur, wenn sich Ride-Sharing-Angebote auf breiter Front durchsetzen. Sollten sich immer mehr Menschen ihre Fahrten teilen, dann könnte der Gesamtbedarf an Autos tatsächlich sinken.

Für einen Autohersteller wäre das ein Problem …

Hitzinger: Das sehe ich nicht so. Wir wünschen uns sogar einen Erfolg der Ride-Sharing-Modelle. Gerade in überfüllten Städten wäre weniger Verkehr ein Gewinn. Hinzu kommt, dass mit dem autonomen Fahren und der Digitalisierung attraktive neue Geschäftsfelder entstehen, die einen möglichen Rückgang beim Fahrzeugverkauf ausgleichen könnten. Wir bei Volkswagen wollen unseren Kunden nachhaltige Mobilität anbieten.

Welche Schritte planen Sie als Nächstes?

Hitzinger: Bei der Zusammenarbeit mit Ford und Argo AI steht die Entwicklung des selbstfahrenden Systems im Mittelpunkt – das treiben wir mit hohem Tempo voran. Parallel beschäftigen wir uns schon heute mit dem Aussehen und dem Aufbau der passenden Fahrzeuge, denn wir haben keine Zeit zu verlieren. Ich gehe davon aus, dass die Industrialisierung des autonomen Fahrens letztlich nur relativ wenigen Playern gelingt. Selbstfahrende Autos sind für uns eine Riesenchance. Wenn wir das richtig machen, könnte Volkswagen in Zukunft noch erfolgreicher sein.

Vielen Dank für das Interview.
www.volkswagen.de

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