Transport researcher Barbara Lenz: “Digitalization has received a boost. This could help make public transport more attractive in the future.” Photo: DLR

Interview mit Barbara Lenz: Technik allein löst das Klimaproblem nicht

Prof. Barbara Lenz (65) ist Leiterin des Instituts für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin. In der Nationalen Plattform „Zukunft der Mobilität“ leitet sie die Arbeitsgruppe 2, die sich mit alternativen Antrieben und Kraftstoffen beschäftigt. Im Interview spricht sie über Mobilität nach Corona, Klimaschutz und alternative Antriebe.

Corona hat die Mobilität massiv verändert. Was geht vorüber und was bleibt langfristig?

Barbara Lenz: Für wissenschaftlich fundierte Aussagen ist es zu früh. Die Momentaufnahme zeigt: Der Anteil des Individualverkehrs ist deutlich gestiegen. In einer Umfrage kurz vor Ostern haben wir festgestellt, dass sich die Menschen auf dem Fahrrad oder im Auto wohler fühlten als in öffentlichen Verkehrsmitteln. Bis Jahresende planen wir zwei weitere Befragungen. Erst dann werden wir wissen, ob sich das Verhalten und die Einstellung zur Mobilität auf längere Sicht ändern.

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass der öffentliche Verkehr dauerhaft Schaden nimmt?

Lenz: Wir wissen es nicht. In Großstädten beobachten wir, dass sich die Busse und Bahnen allmählich wieder füllen. Das hat auch damit zu tun, dass in den Ballungsräumen viele Haushalte kein Auto besitzen. In Berlin beispielsweise sind es zwei Drittel der Haushalte. Gerade die Arbeitswege sind oft zu weit, um mit dem Fahrrad zu fahren – die Menschen sind also auf Alternativen wie die S-Bahn angewiesen. Aber wie gesagt: Die Rückkehr passiert sehr langsam. Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis öffentliche Verkehrsmittel so viele Nutzer haben wie vor Corona. Bis dahin leiden die Unternehmen unter hohen Einnahmeausfällen und zusätzlichen Kosten für Hygienemaßnahmen. „Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis öffentliche Verkehrsmittel so viele Nutzer haben wie vor Corona“, sagt Barbara Lenz.

Droht ein Rückschlag für den Klimaschutz?

Lenz: Ich würde nicht von einem Rückschlag sprechen – aber eine Verzögerung gibt es sicherlich. Vor der Pandemie waren wir uns weitgehend einig, dass der öffentliche Verkehr zumindest im städtischen Raum das Rückgrat einer nachhaltigen Mobilität ist. Viele Firmen haben von ihren Beschäftigten erwartet, dass sie innerdeutsche Dienstreisen mit der Bahn statt mit dem Flugzeug antreten. Das alles muss erst wieder Fahrt aufnehmen. Langfristig könnte Corona den Klimaschutz allerdings sogar voranbringen.

Inwiefern?

Lenz: Die Digitalisierung hat einen Schub bekommen. Das könnte in Zukunft dazu beitragen, den öffentlichen Verkehr attraktiver zu machen. Mit der Digitalisierung verbessern sich zum Beispiel die Voraussetzungen für bargeldloses Bezahlen und für eine gute Information der Fahrgäste. In Paris gibt es heute schon eine App, die mir sagt, in welchem Wagen der U-Bahn ich einen freien Platz finde. Andere Technologien werden helfen, die Atemluft zu verbessern. All das kostet natürlich Geld, das der Staat bereitstellen muss.

Alternative Antriebe sind ebenfalls wichtig für den Klimaschutz. In der Nationalen Plattform zur Zukunft der Mobilität haben Sie sich intensiv damit beschäftigt. Wie fällt Ihr Fazit aus?

Lenz: Unsere Arbeitsgruppe empfiehlt einen technologieoffenen Ansatz mit drei Schwerpunkten: In den nächsten zehn Jahren ist E-Mobilität die beste Lösung, um den Verkehr klimafreundlicher zu machen. Die Technologie steht zur Verfügung, sie ist marktreif, es gibt eine gewisse Vielfalt an Modellen. Im Nutzfahrzeugbereich spielt zudem der Wasserstoff eine wichtige Rolle. Das gilt besonders für den Schwerlastverkehr, aber auch für Busse. In der Schifffahrt und im Flugverkehr wird es ohne alternative Kraftstoffe aus Biomasse und Strom nicht gehen. Selbst alle Technologien zusammen werden allerdings nicht reichen, um die CO2-Emissionen bis 2030 ausreichend zu senken. Es bleibt eine Lücke.

Wie groß ist diese Lücke?

Lenz: Das hängt entscheidend davon ab, wie ehrgeizig wir beim Ausbau und bei der Förderung der alternativen Antriebe sind. Es gibt eine große Spannbreite: Im besten Fall sparen wir bis 2030 rund 63 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr ein. Im schlechtesten Szenario sind es nur 26 Millionen Tonnen. Das Ziel der Bundesregierung für den Straßenverkehr liegt bei 65 Millionen Tonnen. Diesen Wert werden wir aus heutiger Sicht verfehlen – entweder knapp oder sehr deutlich. Wir brauchen die alternativen Antriebe. Aber Technik allein löst das Klimaproblem nicht.

Was muss passieren, um die Lücke zu schließen?

Lenz:  Ohne Verhaltensänderungen wird es nicht gehen. Konkret kann das bedeuten: auf kurzen Strecken das Auto stehen lassen. Stattdessen lieber zu Fuß gehen, mit dem Rad fahren oder öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Ich rechne damit, dass wir in absehbarer Zeit auch in deutschen Städten Einfahrbeschränkungen für Autos bekommen. Zumindest für bestimmte Fahrzeugtypen. Verhaltensänderung bedeutet auch: Bahn statt Flugzeug – zumindest auf innerdeutschen Strecken. Bei der Eröffnung der Bahnstrecke München – Berlin haben wir gesehen, dass das erfolgreich sein kann. Die Fahrtzeit sank von sechs auf vier Stunden – und viele Reisende stiegen auf den Zug um.

Wie passen die Klimaziele mit den Mobilitätswünschen der Menschen zusammen?

Lenz: Das lässt sich so nicht beantworten. Aus Befragungen wissen wir: Die Möglichkeit, mobil zu sein, hat für die meisten Menschen einen hohen Wert. Die Art der Mobilität ist eng mit Routinen verknüpft. Ob wir zur Arbeit gehen, zum Sport oder die Wochenenden gestalten – in der Regel folgen wir Gewohnheiten, die wiederum mit bestimmten Verkehrsmitteln verbunden sind. Das Problem besteht nicht darin, dass Mobilitätswünsche und Klimaschutz nicht zusammenpassen. Die Herausforderung ist: Wir müssen unsere Mobilitäts-Gewohnheiten ändern.

Wie kann das gelingen?

Lenz: Die Alternativen müssen so attraktiv wie möglich sein. Beim Radverkehr, beim Fußgängerverkehr und bei den öffentlichen Verkehrsmitteln können wir deutlich besser werden. Radfahrer beispielsweise brauchen Platz, damit sie sich auf der Straße sicher fühlen. Heute ist der öffentliche Raum an vielen Stellen zugeparkt. Es nützt auch nichts, wenn man eine supertolle Radstrecke baut und am Ende des Wegs landen die Nutzer mitten im Autoverkehr. Oder wenn Rad- und Gehwege in der prallen Sonne liegen. Wir müssen das alles zusammen denken, damit die Alternativen zum Auto als System funktionieren. Ergänzend zu einem attraktiveren Angebot braucht es Regulierung. Da muss die Politik die richtige Balance finden.

Haben alle Menschen ähnliche Anforderungen – oder gibt es Unterschiede?

Lenz: Auf dem Land und an den Stadträndern ist die Affinität zum Auto deutlich größer als in den Innenstädten. Das hat damit zu tun, dass es in den Zentren ein besseres Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln gibt. Auch bei vielen Senioren hat das eigene Auto einen hohen Stellenwert. Wer heute über 60 ist, ist quasi mit dem Auto aufgewachsen. Mit der Vorstellung, dass das Auto Freiheit bietet. Bei den Jüngeren steht der Autobesitz nicht so hoch im Kurs. Allerdings ist der Anteil derjenigen, die einen Führerschein haben, ebenfalls hoch. Die Option, Auto zu fahren, wollen sich auch viele junge Leute nicht nehmen lassen.

Welche Wünsche haben Sie persönlich an Ihre Mobilität?

Lenz: Ich lebe relativ zentral in Berlin – mein größter Luxus ist ein ausgezeichnet funktionierender öffentlicher Verkehr. Ich brauche keinen Fahrplan. Ich gehe einfach an die Haltestelle und warte, bis der nächste Bus kommt. Auch Ride-Sharing und Car-Sharing nutze ich gern – ich liebe diesen Rundum-sorglos-Service aus verschiedenen Verkehrsmitteln. Allerdings ist mir klar, dass das so nur in der Großstadt funktioniert. In ländlichen Räumen oder am Stadtrand ist es nicht bezahlbar.

„In den nächsten zehn Jahren ist E-Mobilität die beste Lösung, um den Verkehr klimafreundlicher zu machen“, sagt Barbara Lenz.

“Klimafreundliche Mobilität braucht Alternativen – beim Radverkehr, beim Fußgängerverkehr und bei den öffentlichen Verkehrsmitteln können wir deutlich besser werden.

Quelle: Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR)

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07.10.2020   |  

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