Digitaler Schlüssel. Foto: doubleSlash

Die Macht der Apps: Wie Drittanbieter die Autobranche herausfordern

Software bestimmt zunehmend den Nutzwert moderner Autos. Das bringt die Automobilhersteller in Bedrängnis. Denn die Hardware als Basis der Wertschöpfung verliert an Bedeutung. Bereits im Herbst 2021 fand die Unternehmensberatung Oliver Wyman in einer Umfrage heraus, dass 80 Prozent der Fahrzeughalter in China und 40 Prozent in Europa bereit wären, die Automarke zu wechseln, wenn sie bessere digitale Dienste erhalten würden. Was das für die Branche und ihre Kunden bedeutet, erklärt doubleSlash Automotive-Experte Markus Beller im aktuellen eMove360° Magazin.

Bis vor wenigen Jahren hatten die Hersteller die Bedienoberfläche und Dienste im Fahrzeug fest im Griff. In jüngster Zeit allerdings gewinnen Apple CarPlay, Android Automotive und damit Apps wie Google Maps oder Spotify die Gunst der Nutzer. Das ebnet Drittanbietern den Weg ins Auto – sie können an den Autobauern vorbei personalisierte Services anbieten und direkt mit dem Kunden in Kontakt treten.

Schon heute spielen Infotainment-Apps oder Office-Anwendungen im Fahrzeug eine wachsende Rolle. Hinzu kommen Apps im E-Commerce-Bereich oder zubuchbare Dienste und neue Funktionalitäten wie etwa der digitale Schlüssel.

Auch beim Thema Autonomes Fahren machen Drittanbieter wie die Alphabet-Tochter Waymo mit ihren weit reichenden Kompetenzen in künstlicher Intelligenz, Big Data, Simulation, APIs oder App-Store den Automobilherstellern das Terrain streitig.

Nachfrage an Infotainment und Apps im Fahrzeug steigt stark

Dass sich die autonahe Software-Szene weltweit lukrative Business Cases ausrechnet, ist nicht verwunderlich. Denn: Wird das teil-autonome Fahren auf Level 3 (hochautomatisiertes Fahren) und 4 (vollautomatisiertes Fahren) erst zum Massenmarkt, dürften softwarebasierte Dienste boomen. Zum einen werden dann erheblich erweiterte Assistenzsysteme mit hohem Softwareanteil benötigt. Zum anderen können Fahrerin oder Fahrer Infotainment- und sonstige Apps in wesentlich größerem Umfang nutzen als bislang. Das pusht die Nachfrage.

Das gilt auch im Markt für individualisierte Navigationsdienste, automatische Abrechnungssysteme für Maut, Parkgebühren oder E-Tankstellen und andere Anwendungen, die das (teil-)autonome Fahren unterstützen. Hier entsteht in den kommenden Jahren eine riesige Spielwiese für Softwareunternehmen. Das Fahrzeug wird der nächste Touchpoint, über den Anbieter aller Art ihre Endkunden erreichen.

Neben unzähligen Gaming- und Infotainment-Angeboten gibt es immer mehr Apps, die den E-Commerce ins Auto holen. Da lässt ein Restaurant den Parkplatz reservieren, sendet dessen Geodaten aufs Navi und offeriert gleich noch einen Begrüßungsdrink. Oder ein Einkaufszentrum lockt mit einem besonderen Angebot inklusive vergünstigter E-Lademöglichkeit und automatischer Zielnavigation.

Klar ist: Je mehr Software-Anwendungen ins Auto eindringen, desto mehr müssen die Autobauer um ihre Dominanz kämpfen. Dass viele digitale Dienste in Zukunft nicht mehr ans Fahrzeug gebunden sein werden sondern an die Person, die sie nutzt, verstärkt diesen Trend noch.

Auch dem Gebrauchtwagenmarkt werden Apps und zubuchbare Dienste wie höhere Motorleistung, Sitzheizung oder stärkere Batterien neue Impulse geben. Kauft man künftig einen Gebrauchten, entscheidet der Käufer, was er nachbuchen möchte. Kfz-Versicherer können beispielsweise personifizierte „Driver Packages“ mit sicherheitsrelevanten Funktionen für ihren Versicherungsnehmer erwerben und „over-the-air“ bereitstellen. Erfüllen sie ihren Zweck, reduzieren sie das Unfallrisiko und sparen damit Geld und Ärger. Software macht´s möglich.

Wertschöpfung mit dem digitalen Schlüssel

Ein besonders hohes Mehrwert- und Wertschöpfungspotenzial steckt im digitalen Schlüssel. Mit ihm wird beispielsweise das Vermieten eines Fahrzeugs künftig deutlich einfacher. Denn der digitale Schlüssel macht nicht nur die physische Schlüsselübergabe obsolet, er legt auch detailliert fest, was die Fahrerin/der Fahrer mit dem Auto darf und was nicht. Ob es um Höchstgeschwindigkeit und Beschleunigung geht oder die Zeit oder Region, innerhalb derer das Auto freigeschaltet ist.

Damit bedient der digitale Schlüssel das steigende Bedürfnis, ein Auto nicht mehr zu besitzen, sondern nur bei Bedarf zu nutzen und ist somit ein wichtiges Puzzleteil für das Mobilitätsfeld „Shared Mobility“.

Es scheint, dass die Autobauer keine andere Wahl haben als Drittanbieter ins Fahrzeug zu lassen. Um dennoch nicht allzu abhängig von Drittanbietern zu werden, bauen sie derzeit massiv Software-Kompetenz auf und investieren in ihr eigenes Betriebssystem. Zugleich integrieren sie notgedrungen einen App-Store, der dem Kunden Zugriff auf Apple und Google Apps erlaubt.

Für die Verbraucher kann diese Doppelstrategie nur von Vorteil sein. Denn bekanntlich belebt Konkurrenz das Geschäft. Und auch hier gilt: Durchsetzen werden sich die Anwendungen mit dem größten Nutzen – oder die einen emotional aufgeladenen Hype auslösen. In jedem Fall ist es die Software, die neue Nutzungs- und Wertschöpfungspotenziale erschließt.

Der Autor Markus Beller ist Senior IT Consultant im Bereich Connected Mobility beim Softwareunternehmen doubleSlash.

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07.07.2023   |  

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