Wie lade ich die Elektroautos in meiner Firmenflotte? Das ist die Frage, die nicht nur Fuhrparkmanager immer mehr beschäftigt. Zahlreiche große Firmen in Deutschland und Europa stehen vor der Herausforderung, Ladeinfrastruktur für Besucher und Mitarbeiter im großen Stil zu schaffen, ohne dabei Investitionen in neue Netzanschlüsse oder Transformatoren tätigen zu wollen. Neben leistungsstarken Verbrauchern wie der Produktion, der Kantine und dem Rechenzentrum muss die bestehende Netzanbindung nun noch für eine Vielzahl an E-Fahrzeugen ausreichen, die in der Regel zu Stoßzeiten angesteckt werden und mit dem Laden beginnen. In dem Inkubator Programm des Autozulieferer MAHLE haben Mitarbeiter eine innovative Ladelösung entwickelt: chargeBIG. Das System ist nicht nur im MAHLE Parkhaus im Einsatz– der Flughafen Stuttgart,die Landesbank Baden-Württemberg sowie weitere Kunden nutzen bereits das intelligente und skalierbare Ladesystem mit dem es gelingt, 18 bis 100 oder mehr Stellplätze zu elektrifizieren.
„Elektromobilität wird nur dann möglich, wenn auch genügend intelligente Ladepunkte zur Verfügung stehen. Für einige Anwendungsfälle – zum Beispiel das Laden auf Firmenparkplätzen – waren die vorhandenen Lösungen mit Wallboxen oder anderen AC-Ladesäulen nicht optimal,“ beschreibt Nicole Heinrich kurz und treffend die Idee hinter chargeBIG, einem firmeninternen MAHLE Startup. In dem Inkubator Programm des Autozulieferers MAHLE werden Lösungsansätze außerhalb des bisherigen MAHLE Portfolios gefördert. Zwei Ideen haben sich im Pilotprojekt 2018 durchgesetzt und wurden als Corporate Startups aufgebaut – eine davon war chargeBIG. „Diese Startups dürfen eigenständig von der üblichen MAHLE-Organisation arbeiten – da die Themen auch losgelöst vom Mahle-Portfolio sind“, sagt Heinrich, die bei chargeBIG für Marketing und Vertrieb verantwortlich ist. MAHLE fördert seither auch in den Werken in China und in Europa weitere Corporate Startups zu anderen Ideen.
DIE CHARGEBIG LADELÖSUNG MIT DEM ZENTRALEN LADESCHRANK
ChargeBIG vertreibt eine kosteneffiziente und skalierbare Ladeinfrastruktur für Tagesparker und Flottenbetreiber. Die Ladelösung besteht aus einer zentralen Steuereinheit, dem Ladeschrank, die alle Ladepunkte an den jeweiligen Parkplätzen steuert und mit Strom versorgt. Statt kostenaufwändig Wallboxen an jedem Parkplatz zu installieren, werden die notwendigen Komponenten, wie zum Beispiel Sicherungen, Fehlerstromschutzschalter, Ladecontroller oder Messgeräte, im Ladeschrank zusammengefasst. An den einzelnen Parkplätzen befindet sich jeweils nur ein fest montiertes Anschlusskabel für das E-Fahrzeug. Die verfügbare elektrische Leistung wird durch ein phasenindividuelles und dynamisches Lastmanagement mit einer einphasigen Ladeleistung zwischen 2,3 – 7,2kW intelligent auf alle ladenden Fahrzeuge verteilt. Einzelne Ladepunkte mit bis zu 22kW, z.B. für Besucher, können ebenfalls in das System integriert werden.
DIE VORTEILE DER CHARGEBIG LADELÖSUNG SIND VIELFÄLTIG
„Mit der Zentralisierung konnten wir Lösungen in das System integrieren, die einzelne Wallbox-Lösungen nicht bieten. Etwa die Integration in die Brandmeldeanlage oder in das Energiemanagement eines Gebäudes. Zudem wird die Wartung günstiger, da die gesamte Technik mit Schutzschaltern etc. im Schaltschrank und nicht am jeweiligen Ladepunkt verbaut ist.“ Erklärt Heinrich. Ein weiterer Pluspunkt ist die erhöhte Sicherheit: Die Ladekabel an den einzelnen Parkplätzen werden erst nach aktiver Freigabe durch den zentralen Ladeschrank mit Strom versorgt. In Fällen von Vandalismus oder Unfällen ist somit aufgrund der stromlosen Ladepunkte keine Gefährdung gegeben.
Darüber hinaus erfolgt die Kontrolle der Ladepunkte über einen IT-sicherheitsgehärteten Industrie-PC, der in einem nicht öffentlich zugänglichen Bereich verbaut wird. Die potenziell unbewachten Ladepunkte besitzen keinen Rückkanal zur Zentrale und bieten damit auch keine Angriffsfläche aus Sicht der IT-Sicherheit. Darüber hinaus lassen sich durch die Zentralisierung erhebliche Kosten einsparen. Auch der Austausch von defekten Teilen oder die jährliche Prüfung der Fehlerstromschutzschalter müssen nur an einer zentralen Stelle und nicht an jeder einzelnen Ladesäule durchgeführt werden. Dazu kommt die schlanke Infrastruktur direkt am Parkplatz: Das fest montierte Ladekabel dient dem Komfortgewinn, da der Nutzer kein eigenes Ladekabel mitbringen muss. Die chargeBIG Lösung verfügt über ein netzdienliches Energiemanagement: Über ein dynamisches phasenindividuelles Lastmanagement wird die verfügbare Ladeleistung durch eine zentrale Steuereinheit auf die parkenden Fahrzeuge verteilt. Dadurch können Schieflasten im Stromnetz vermieden werden.. Andere Verbraucher im Netz werden berücksichtigt und E-Fahrzeuge als regelbare Last genutzt. Dies ermöglicht die optimale Nutzung des verfügbaren Stromnetzes.
DAS MAHLE-PARKHAUS DIENT ALS REALLABOR
Im Rahmen eines BMWi Förderprojektes entstanden im Parkhaus der MAHLE-Gruppe in Stuttgart 100 Lademöglichkeiten für E-Fahrzeuge, überwiegend einphasige Wechselstrom-Ladepunkte mit 2,3 bis 7,4 kW bzw. einige wenige dreiphasige Ladepunkte mit bis zu 22 kW. Zudem gibt es einen Gleichstrom-Schnelllader mit bis zu 120kW, der aus einem Batteriespeicher versorgt wird. Zusätzlich wurde eine PV-Anlage auf dem Dach des Parkhauses installiert, damit die EFahrzeuge mit Ökostrom geladen werden können. Die Nutzung im Alltag durch Mitarbeiter und Dienstfahrzeuge nimmt kontinuierlich zu, so dass inzwischen schon über 20 MWh Strom geladen wurden und entsprechend ca. 80.000 elektrisch gefahrene Kilometer zusammengekommen sind. Gleichzeitig dient das Parkhaus auch als Reallabor, um das Produkt chargeBIG weiter zu entwickeln und zu testen.
BEREITS IM KUNDENEINSATZ
Die Ladelösung ist bereits bei mehreren Kunden im Einsatz. Beim Flughafen Stuttgart wurden 2019 knapp 100 Ladepunkte auf dem Betriebsgelände realisiert, wodurch Fahrzeuge der Flotte und von Mitarbeitern geladen werden können. Die Landesbank Baden-Württemberg installierte 36 Ladepunkte für die Flotte und Besucher in den Tiefgaragen am Hauptbahnhof in Stuttgart. Zusätzlich wurden im Rahmen eines Förderprojekts des Landes Baden-Württemberg 18 Ladepunkte beim Forschungsinstitut für Solarenergie in Konstanz aufgebaut. Über die gewerblichen Anwendungsfälle hinaus kann die chargeBIG Lösung auch im Wohnbau oder auf Park-and-Ride Parkflächen zum Einsatz kommen. Die Zufriedenheit der Kunden ist groß.
EICHRECHTSKONFORME ABRECHNUNG UND FREISCHALTUNG DER LADEPUNKTE
Für das Laden mit Abrechnung bietet chargeBIG eine App. „Diese ermöglicht sowohl das AdHoc-Laden als auch das Laden von Dienstwagen über Kostenstellen-Verrechnungen und auch das Laden von Gästen über Voucher-Codes“, so Heinrich. Die App sei, wie das System selbst, möglichst schlank gehalten. Am Ladepunkt selbst soll das Scannen eines QR-Codes ausreichen – NFC-fähige Smartphones müssen sogar nur an den QR-Code gehalten werden, um den Ladevorgang zu starten. Um Bestandsladeinfrastruktur bei Kunden zu integrieren hat das Corporate Startup eine Roaming-Lösung umgesetzt. Die Zertifizierung der Eichrechtskonformität der chargeBIG Lösung durch den VDE ist abgeschlossen. Somit wird das eichrechtskonforme Abrechnen in Zukunft möglich. Die Abrechnung mit den Nutzern oder Mitarbeitern und die Messlösung, die dann kWh-scharf jeden Ladevorgang dokumentiert, wird bei den bestehenden Kunden auf Wunsch nachgerüstet. Durch die Zentralisierung im System haben sich im Zertifizierungsprozess Besonderheiten, wie z.B. die Anforderung an eine Leitungslängenkompensation, ergeben. „Wir müssen Leitungskompensationen durchführen, um weder den Betreiber noch den Nutzer nachteilig zu behandeln. Über das Kabel erfolgt ein errechenbarer Spannungsabfall, womit die zentral gemessene Kilowattstunde nicht 1:1 am Fahrzeug ankommt. Unsere dafür entwickelte Messlösung kompensiert diesen Spannungsabfall.“ Erklärt Nicole Heinrich optimistisch. Durch die Zertifizierung ergeben sich für das Corporate Startup insbesondere in Deutschland weitere Potenziale.
Weitere Informationen: www.mahle.com, www.chargeBIG.com
