Herausforderung pilotiertes Fahren

Das pilotierte Fahren ist eines der strategischen Zukunftsthemen der Automobilindustrie. Die neuen Konzepte sind eine funktionale und sogleich technologische Aufgabenstellung – und daraus ergeben sich völlig neue Herausforderungen für die automotive Softwareentwicklung.

Derzeit sind Fahrerassistenzfunktionen sehr heterogen in den verschiedensten Domänen verteilt, wie z.B. beim Parken der Parklenkassistent oder im Bereich Licht der High-Beam Assist. Zwischen den Funktionen besteht zwar ein Informationsaustausch, jedoch sind sie untereinander nicht hoch vernetzt und nutzen aktuell nur sehr eingeschränkt gemeinsame Basiskomponenten, wie z.B. eine zentrale Sensordatenfusion. Um neuartige Ansätze wie einen Stauassistenten umsetzen zu können, muss eine Konsolidierung auf funktionaler Ebene erfolgen, und die Synergien zwischen allen Applikationen müssen genutzt werden.

Zusätzlich benötigt das Fahrzeug eine vollständige 360-Grad-Sicht auf das unmittelbare und mittelbare Umfeld. Hierzu kommen verschiedenste Sensoren mit unterschiedlichen Wahrnehmungsbereichen zum Einsatz. Auch muss der Umkreis redundant erfasst werden, um Plausibilisierungen durchzuführen und Störungen bzw. Fehlfunktionen erkennen zu können. Alle Messgrößen werden dazu in der zentralen Sensordatenfusion verarbeitet, welche ein vollständiges Modell der Umgebung berechnet. Zusätzlich können über Car-to-X oder ein IT-Backend weitere Informationen gesammelt und mit verarbeitet werden. Für die seriennahe Entwicklung existiert das sogenannte zFAS (zentrales Fahrerassistenzsteuergerät) mit sehr leistungsfähiger Hardware. Dieses verfügt über die Rechenleistung eines aktuellen Mittelklassefahrzeugs.

Herausforderungen für die Softwareentwicklung

Durch die bereits angesprochene funktionale Konsolidierung ergibt sich ein starker Einfluss auf die beiden Themen E/E-Architektur und hochintegrierte Steuergeräte im Bereich Embedded Fahrzeugentwicklung. Flankiert durch einen zunehmenden Bandbreitenbedarf ergeben sich völlig neue Anforderungen an eine zukunftsorientierte Vernetzungsarchitektur, um pilotierte Fahrfunktionen umsetzen zu können.

Der Trend der Vernetzung wird sich in der Zukunft weiter fortsetzen, und das Fahrzeug wird mehr und mehr mit seiner Umwelt interagieren. Die Car-to-X-Kommunikation ist ein Beispiel, jedoch sei auch die Nutzung von Flottendaten über cloudbasierte Dienste hier erwähnt, Stichworte sind Big Data und Schwarmintelligenz. Durch die Kommunikation der Fahrzeuge mit einem IT-Backend können viele Daten dezentral gesammelt und im nächsten Schritt zentral verarbeitet und aggregiert werden. Methoden aus dem Machine Learning werden hier eine sehr zentrale Rolle spielen. Dadurch können beispielsweise Verkehrsstörungen frühzeitiger erkannt und Gefahrensituationen schneller gemeldet werden. Eine bidirektionale Verbindung gewährleistet, dass das generierte Wissen dem Fahrer oder den pilotierten Fahrfunktionen zur Verfügung gestellt wird. Steuern viele Fahrzeuge entsprechende Daten bei, können daraus auch globale Handlungsstrategien für eine Flotte abgeleitet werden. Auch die Vernetzung mit Mobile Devices ist sehr relevant, um z.B. den Trigger für den pilotierten Ausparkvorgang zu übermitteln.

Systemarchitekturen und Plattformen

Um die oben genannten Punkte optimal betrachten und entwickeln zu können, bedarf es zentraler Systemarchitekturen, die eine Art Klammerfunktion bilden. Zusätzlich müssen die Aspekte hinsichtlich Safety, Security und Privacy während der Entwicklung konzipiert und implementiert werden. Die Schnittstellen zwischen den drei definierten Domänen in einer Systemarchitektur werden über entsprechende Plattformen und die darin enthaltenen Schnittstellenadapter realisiert. Dadurch ist sichergestellt, dass festgelegte und standardisierte Interfaces verwendet werden und sich nahtlos weitere Entwicklungsschritte aufsetzen lassen.

Virtuelle Entwicklungsmethoden sind eine weitere wichtige Komponente in der automobilen Softwareentwicklung. Damit lassen sich Fahrzeugfunktionen aus der gesamten Systemarchitektur frühzeitig in den verschiedensten Situationen und Szenarien verifizieren und validieren. Die Integration von Sensormodellen, die Kopplung mit Fahrermodellen und einer Verkehrssimulation ergeben flexible Einsatzmöglichkeiten. All diese Aspekte müssen jedoch sinnvoll eingesetzt werden, um die Innovationen erfolgreich zu entwickeln. Adaptive Prozesse sollten die Entwicklungsschritte bedarfsgerecht und je nach Projektphase spezifisch unterstützen.

Um die Herausforderungen letztendlich bewältigen zu können, ist es notwendig, eine zeitliche Komponente mit einzuführen. Der zentrale Erfolgsfaktor ist die kontinuierliche und durchgängige Anwendung der genannten Aspekte von der Konzeptphase bis hin zur Maintenance. So ergibt sich die Möglichkeit, Artefakte aus den vorherigen Prozessschritten zu übernehmen, um so die Entwicklungszeit zu verkürzen, Kosten zu senken und Entwicklungsprojekte optimal zu unterstützen.

Autor: Dipl.-Ing. (FH) Florian Netter
Softwaretechnologie, Software Competence Center
Audi Electronics Venture GmbH
www.audi-electronics-venture.de

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