Nico Muller, ABT CUPRA Formula E Team during the Mexico City ePrix at Autodromo Hermanos Rodriguez on Thursday January 12, 2023 in Mexico City, Mexico. (Photo by Sam Bloxham / LAT Images)

Hinter den Kulissen: Formel-E-Pilot Nico Müller vor dem Start

Halbfinale des Qualifyings in Berlin: Nico Müller wurde in die Box geschoben und sah in die Gesichter seines Teams. „Die Luft hat geknistert. Man konnte das Funkeln in den Augen der Mechaniker und Ingenieure sehen – das war Glücksgefühl pur“, beschreibt der Schweizer Pilot des ABT CUPRA Teams die Szenen nach dem Erreichen des Qualifying-Finals beim Rennen in Berlin Ende April. In den nächsten Rennen möchte das ABT CUPRA Team an diesen Erfolg anschließen. Was dafür nötig ist, wissen Nico Müller und Teamkolllege Robin Frijns nur zu gut. Wir haben es im aktuellen eMove360° zusammengefasst.

Nach dem Rennen ist vor dem Rennen

Die Vorbereitung auf das nächste Rennen in Rom begann für Nico Müller bereits kurz nach dem Ende des letzten Rennens in Portland (USA). „Die Analyse des letzten Rennens gehört schon zur Vorbereitung. Man nimmt die Lektionen mit, die man gelernt hat“, erklärt er. Vor dem tatsächlichen Rennwochenende geht es dann zunächst in den Simulator, ehe die Anreise stattfindet. Ein erstes Gefühl für den realen Kurs bekommen die Piloten bei der Streckenbegehung. „Da haben die Teams einen Slot, bei dem man die Strecke zu Fuß abgeht. In der Formel E gibt es keine permanenten Rennstrecken, deshalb ist die Begehung enorm wichtig. Man achtet auf jedes Detail: wo sich der Asphalt verändert, oder wo vielleicht eine Bodenwelle ist, die man aus dem Cockpit nicht sieht“, beschreibt Nico die akribische Begutachtung.

Vertrauen in das Fahrzeug bekommen und ab in den „Tunnel“

Ist die Strecke verinnerlicht, geht es um die optimale Abstimmung des Rennwagens. „Das Fahrzeug wird bis zum Rennen permanent abgestimmt und das Set-Up verfeinert, um es optimal auf die Streckenbedingungen und meinen Fahrstil anzupassen. Zusammen mit den gesammelten Daten ist mein Input dabei sehr wichtig, denn ich bin es, der das Fahrzeug am Limit bewegt und das Vertrauen ins Material haben muss. Ich bin da in enger Abstimmung mit den Renningenieuren und dem Performance-Ingenieur.“

Nico nennt diese einzelnen Schritte „Warm-Up“ für das Rennen. Dazu gehört auch das Abschirmen von der Außenwelt, um „in den Tunnel“ zu gelangen. „Man muss an einem Rennwochenende alles andere links liegen lassen. An einem Renntag ist kein Platz für irgendetwas anderes. Man ist 100 Prozent bei sich, beim Team und beim Rennwagen und versucht, das Maximum aus dem Paket herauszuholen.“ Selbst den Kontakt zur Familie beschränkt er auf ein Minimum. „Morgens frage ich kurz nach, ob zu Hause alles in Ordnung ist, dann erst nach dem Rennen wieder, aber dazwischen ist tatsächlich sehr wenig Zeit, um sich auszutauschen, weil man sich voll und ganz dem Renntag widmet.“

Gemüse, Hähnchen und vielleicht ein Espresso: Die letzten Rituale vor dem Start

Um auch körperlich voll einsatzfähig zu bleiben, ist die Ernährung genau auf die Fahrer abgestimmt. „Die Essenspausen sind fest terminiert und das Essen wird dazu angeliefert. Es gibt immer das gleiche: Morgens ist es meist Brot, Ei und eine Banane. Mittags glutenfreier Reis, mit gekochtem Gemüse und Hähnchen. Es soll genug Energie liefern, aber nicht schwer im Magen liegen“, erklärt Nico. Der 31-jährige Schweizer trinkt zudem manchmal vor dem Rennen noch einen kleinen Wachmacher. „Ich bin ein großer Kaffee-Fan. Wenn ich mich noch ein bisschen mehr pushen möchte, dann trinke ich noch einen Espresso. Das entscheide ich situativ.“

Das Rennen: Wenn der Strom unter Volllast fließt

Nach den Briefings mit den Fahrern, Mechanikern und Ingenieuren werden die letzten Anpassungen am Set-Up des Rennwagens gemacht. Jetzt liegt es in den Händen der Piloten, die vorangegangene Teamarbeit zu veredeln und in die Punkte zu fahren. Ein kleines Ritual vor dem Einstieg ins Monocoque behält Nico sich vor. Gut zehn Minuten, bevor es losgeht, stellt sich der Rennpilot vor sein Fahrzeug und beginnt mit einem körperlichen Warm-Up. „Ich habe zwei, drei Übungen zum Aufwärmen. Dabei gehe ich immer denselben Bewegungsablauf durch. Das hilft mir, in den Tunnel zu kommen.“ Unmittelbar vor dem Rennen geht’s dann noch mal schnell um die Ecke.

Einen Talisman hat Nico Müller immer dabei, wenn er sich auf ein Rennen vorbereitet. „Das Armband von meiner Familie gibt mir einfach ein gutes Gefühl.“ Ebenfalls ein Ritual: Der Einstieg ins Monocoque des 475-PS-starken Gen3-Formel-E-Rennwagens erfolgt immer von derselben Seite. „Es fühlt sich natürlicher an, mit dem rechten Fuß zuerst im Monocoque zu stehen.“

Voll unter Strom: „Manchmal musst du einfach Entscheidungen treffen“

Während des Rennens sind viel Fingerspitzengefühl und ein kühler Kopf gefragt. Du stehst voll unter Strom. Mental ist es extrem herausfordernd, so ein Rennen zu beherrschen. Du hast nicht immer das Gefühl, in jeder Situation on top of the Game zu sein. Manchmal musst du einfach Entscheidungen treffen und gucken, was dabei rauskommt. Es gibt so viele Faktoren, die ein Rennen mit beeinflussen“, beschreibt Nico das Gefühl während des Rennes, die richtige Strategie zu wählen.

Dabei geht es nicht nur darum, möglichst schnell zu fahren. In der Formel E spielt auch das Energie-Management eine große Rolle. „Man kann nicht das gesamte Rennen mit Höchstgeschwindigkeit durchfahren, sonst geht dir irgendwann der Strom aus. Du musst Energie rekuperieren. Das bedeutet, dass man beispielsweise nicht mit Vollgas an den nächsten Bremspunkt heranfährt, sondern ein sogenanntes Lift and Coast macht – also das Auto vor der nächsten Kurve ein Stück weit rollen lässt. Sonst verbraucht man zu viel Energie. Dieses Management möglichst effizient zu betreiben, mit möglichst wenig Zeitverlust pro Runde – das braucht viel Brainpower.“

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30.09.2023   |  

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