Markus Beller doubleSlash. Foto: doubleSlash

Das digitale Fahrzeug – Software als Taktgeber

Nicht nur für Verbraucher in Fernost ist längst Software im Fahrzeug zum kaufentscheidenden Element geworden. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, machen auch die hiesigen Autobauer die Software-Entwicklung nach und nach zum Taktgeber. Wie das gehen kann und was sich in den letzten Jahren getan hat, erklären Markus Beller und Manuel Teufel, Automotive-Experten beim Softwareunternehmen doubleSlash, in ihrem Gastbeitrag für das aktuelle eMove360° Magazin.

Es ist mittlerweile unumstritten: Der Kampf der Automobilbranche um Kunden und Marktanteile wird über Software entschieden. Entsprechend ambitioniert sind die Ziele, die das Top-Management der europäischen Autokonzerne vorgibt. Denn die Zeit drängt. Allerdings bringt der Wandel vom Hardwareproduzenten zum Software-getriebenen Unternehmen viele Herausforderungen mit sich. Doch die Praxis offenbart mittlerweile vielversprechende Entwicklungen.

Fest steht: Die Autobauer brauchen leistungsfähige Software-Ökosysteme mit agilen Teams, die Entwicklung und Betrieb (Development und Operations) in einem denken, sogenannte DevOPs Teams. Dass sich dieses Duo immer besser aufeinander einspielt und das jahrzehntelange Silo-Denken hinter sich lässt, ist ein wichtiger Schritt.

Auch Steuerungsmechanismen, die auf die klassische Hardware-Entwicklung ausgelegt sind, verlieren an Boden. Software wird zunehmend als Basis für künftige Geschäftsmodelle wahrgenommen, in die man investieren muss, denn als reiner Kostenfaktor.

Zugleich setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass die bislang oft geübte Praxis, Operations-Aufgaben aus Kostengründen komplett auszulagern, die Entwicklung hemmt. Hinzu kommt: Ein häufiger IT-Dienstleisterwechsel mag sich zwar kurzfristig rechnen, kostet aber wertvolle Zeit und geht meist zu Lasten von Performance und Qualität. Ähnlich verhält es sich mit dem stetigen Verschlanken von Organisationsstrukturen oder dem Festhalten an überzogenen Policies oder zusätzlichen Frameworks. Wer etwa das Arbeiten in der Cloud durch zu starke Reglementierung unnötig einschränkt, torpediert die Vorteile der Cloud-Nutzung.

Eine Lösungsstrategie ist, gut geschulte, eingespielte und selbstverantwortliche DevOps Teams mit mehr Berechtigungen auszustatten und von langwierigen manuellen Berechtigungsprozessen zu befreien.

Praxisnahe Testmöglichkeiten schaffen

Einiges an Optimierungspotenzial haben die Autobauer und -zulieferer in den letzten Jahren bei den Testmöglichkeiten für ihre Software-Entwicklerteams erschlossen. Allerdings ist hier noch deutlich Luft nach oben. Denn: Um ihren Job wirklich gut zu machen und schnell aussagekräftige Ergebnisse zu bekommen, brauchen die Teams Testumgebungen, die der Produktivumgebung so nahe kommen wie nur möglich. Eine leistungsfähige Software-Testumgebung muss Ende-zu-Ende-Tests für die Simulation der angestrebten Funktionen über die gesamte Systemkette hinweg ermöglichen. Dazu müssen in vernetzten Systemen alle Subsysteme hochverfügbar sein.

Eine wesentliche Voraussetzung für schnelles Abteilungs- und Team-übergreifendes Arbeiten sind Service Level Agreements und Schnittstellenverträge, wie sie in Produktivumgebungen üblich sind. Sie etablieren sich zunehmend auch für Testumgebungen. Durch die zunehmende Nutzung der Cloud ist es zudem möglich, Testumgebungen wie im Produktivbetrieb mit hoher Last zu simulieren und anschließend wieder dynamisch herunter zu skalieren, um trotzdem möglichst kosteneffizient zu sein.

Ein weiterer Punkt ist das Erstellen von Testdaten. So sollten möglichst alle Fahrzeugvarianten mit allen Sonderausstattungen, Verhaltens- oder Marktspezifika abgebildet und getestet werden können. Dafür gibt es heute Software, die es allen Entwicklern möglich macht, auf Knopfdruck via API ein realistisches digitales Abbild zu erstellen.

Schlanke Prozesse und Organisationen aufsetzen

Wenn es sich auch in den letzten Jahren verbessert hat – das Onboarding ist durchaus noch optimierungswürdig. So kommt es noch immer vor, dass externe IT-Dienstleister Wochen oder gar Monate brauchen, ehe sie uneingeschränkt arbeitsfähig sind. Der Grund liegt meist in Compliance Anforderungen außerhalb der IT oder manuellen Tätigkeiten, die Onboarding Prozesse in die Länge ziehen. Hier versprechen mehr Self-Service-Dienste und die Vernetzung der einzelnen Berechtigungssysteme in Zukunft Abhilfe.

Zwar ist das Denken in Hierarchien und Silo-Strukturen in Softwareteams inzwischen rückläufig. Nach wie vor gibt es aber Situationen, die ihren Ursprung in der Hardware-Welt mit ihren mehrjährigen Entwicklungszyklen haben: Ruft etwa das Top-Management eine Software-Testphase aus oder es steht eine wichtige Demonstration auf einer Messe an, kann es passieren, dass die Entwicklungsteams Tage oder gar Wochen nicht vernünftig weiterarbeiten können, weil ihr Entwicklungsstand „eingefroren“ ist.

Dies alles zeigt: Die Transformation zu einem Software-getriebenen Unternehmen erfordert einen Wandel des Mindsets auf allen Ebenen und in der gesamten Organisation. Und den Einsatz von agilen Methoden wie Scrum oder SAFe. Denn das ist die Basis für agiles Handeln und die Voraussetzung dafür, dass die Aufholjagd der deutschen und europäischen Autobauer gelingt.

Autoren: Markus Beller und Manuel Teufel, Automotive-Experten beim Softwareunternehmen doubleSlash

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04.04.2023   |  

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