Die digitale Transformation des Automobils

Gut 20 Jahre haben wir nun Mobilfunk im Massenmarkt, ähnlich lang gibt es auch Internetzugang für die Allgemeinheit. Die Kombination aus beiden Technologien
hat unser aller Lebenswirklichkeit in den letzten Jahren so stark geprägt, wie kaum eine Innovation in der Geschichte.

Insbesondere das Smartphone – in seiner heute dominanten Form mit Touchscreen keine 10 Jahre alt (Apple hatte das erste iPhone im Januar 2007 vorgestellt) und hat doch – als „Fernbedienung für unser Leben und Arbeiten“ unseren Alltag neu geordnet. „Always-On“ (Immer Online) zu sein ist nicht mehr länger nur das Marketingversprechen der Telekommunikationsbranche sondern das alltägliche Leben weiter Teile der Bevölkerung. Glaubt man gängigen Studien so schaut der Durchschnittsnutzer rund 200mal am Tag auf das Gerät, zu stark ist der Sog der von diesem beziehungsweise darüber erschließbaren Anwendungen und Informationsquellen ausgeht. Mehr als 100 mal nutzt etwa ein durchschnittlicher Teenager das Gerät um Nachrichten zu versenden – pro Tag! Die Wechselwirkungen auf private wie berufliche Sphären sind längst in jedermanns Alltag angekommen. Verabredungen werden unverbindlicher, man kann ja Bescheid geben, wenn man später kommt und noch kurz online nachsehen, ob sich nicht ein vermeintlich lohnenderer Zeitvertreib findet. Angekommen ist dieser technologisch induzierte Wandel etwa im Handel, der sich auf neue Bedingungen – etwa erhöhte Preistransparenz – einstellen muss und vielerorts noch nach Rezepten für den Umgang mit der neuen Wirklichkeit sucht. Auch andere von Informationsasymetrien geprägte Beziehungen – wie etwa zwischen Arzt und Patient, Rechtsanwalt und Mandant oder Werkstattmeister und Autobesitzer stehen unter Anpassungsdruck – zu leicht ist eine Diagnose vom Kunden selbst aus dem Netz gefischt, ob diese nun stimmt steht auf einem anderen Blatt.

Die Erwartungen der Anwender steigen, ist dieser doch gewöhnt jährlich oder gar halbjährlich mit neuen Technologien (mit unter Umständen zweifelhaftem Nutzen, man denke etwa an abgerundete Displays bei Handys und „Smart“-Funktionen TV-Geräten) versorgt zu werden. Die in Mobilfunktarifen immer noch üblichen Gerätesubventionen tun ein Übriges einen schnellen Umschlag zu fördern.

Geradezu archaisch muten dazu die Zykluszeiten der Automobilindustrie an. Selbst Spitzen-Infotainmentsysteme die in einzelnen Fahrzeugklassen durchaus mehr als 10% des Fahrzeuggrundpreises ausmachen können, sind oftmals bereits heillos veraltet, wenn der Kunde schließlich das Fahrzeug vom Hof fährt. Nicht selten ist auch ein Gratisnavi im vorhandenen Smartphone die bessere Wahl verglichen mit dem teuren Festeinbaugerät des Autoherstellers, insbesondere wenn es um neue Dienste wie etwa detaillierte Verkehrsdaten geht. Die Automobilhersteller versuchen entgegenzuhalten.

Einerseits öffnet man sich für eine bessere Smartphone-Integration ins Fahrzeug – wenngleich nur widerwillig. Die Option etwa sein iPhone mittels carPlay ins Bordsystem zu integrieren kostet dann als Option schon mal mehr als das Gerät selbst. Andererseits versucht man selbst Dienstanbieter zu werden und scheitert mit schöner Regelmäßigkeit an der Sinnhaftigkeit neuer Dienstoptionen oder schlicht an der fehlenden Zahlungsbereitschaft der Kunden, der soeben mehrere 10Tsd Euro in seinen Neuwagen investiert hat und wenig geneigt scheint dazu noch ein Abo abzuschließen.

An hübschen Ideen mangelt es dabei nicht. So bietet der neue BMW M2 eine Option eine „GoPro“-Actioncam über das Bordsystem anzusteuern, und die Ergebnisse des eigenen Fahrkönnens sogleich der Welt zugänglich zu machen. Der tatsächliche Anwenderkreis de dürfte auch unter Sportfahrenthusiasten gering ausfallen.

Um typische PKW-Halte- und Nutzungsdauern mit den Innovationszyklen der Smartphone- und Onlinebranche in Einklang zu bringen gibt es verschiedene Konzepte. Interessant ist die Idee Elektronikbausteine tauschbar zu machen. Originellerweise gab es diese Option vor Jahren schon mal. Sie nannte sich „DIN-Schacht“ (1DIN und 2DIN waren dabei die typischen Bauhöhen) und ermöglichte dem Kunden eine Nachrüstung und auch spätere Aufrüstung seines Fahrzeugs auf den jeweils neuesten Stand bevor sie von immer mehr Herstellern aus dem Programm genommen wurden. Fraglich ist nun ob ein Gebrauchtwagenkäufer teure herstellerbasierte Hardwareupdates überhaupt mitgehen wird, der Preiswettbewerb im Sekundärmarkt bleibt bei diesen neuen Konzepten außen vor.

Was also tun? Will die Automobilbranche mittelfristig nicht zum reinen „Smartphonezubehöranbieter“ degradiert werden bedarf es eines aktiven Angangs des Problems. Dazu wird es nicht ohne Kooperation gehen. Kooperation mit den wesentlichen Herstellern bzw. Systemlieferanten (Apple, Google für Android). Kooperationen aber vor allen Dingen auch zwischen den bisherigen Wettbewerbern in der Autobranche selbst. Als ersten wichtigen Schritt kann man dabei den gemeinsamen Kauf von „Nokia HERE“ (dem Karten- und Navigationsbusiness des ehemaligen Mobilfunkriesen) durch AUDI, BMW und Daimler werten.

Gelingt die Technologieoffensive hier, so kann man auch der zweiten prägenden Entwicklung der ersten Hälfte des 21 Jahrhunderts gelassener entgegensehen: Dem autonomen Fahren. Vernetzung wird auch hier der Schlüssel zum Erfolg.

Autor: Thomas R. Köhler

Thomas R. Köhler ist Autor zahlreicher Bücher zum technologischen Wandel, darunter: „Die digitale Transformation des Automobils“ (MediaManufaktur Verlag, Pattensen) und Geschäftsführer einer Technologieberatungsfirma in Holzkirchen bei München (www.ce21.de) Der Internet- und Mobilfunknutzer der ersten Stunde ist – als bekennender Oldtimerfan – im Auto gerne Offline.

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