Sabine Metzger mit Wolfgang Brand, CFO bei Milence (rechts im Bild). Foto: Robert Metzger

eMove360° Exklusiv-Interview: Milence-CFO Wolfgang Brand über die Dekarbonisierung des Schwerlastverkehrs

Im Juli 2022 ist das Gemeinschaftsunternehmen der Nutzfahrzeughersteller Volvo Group, Daimler Truck und Traton Group an den Start gegangen – zunächst als „Commercial Vehicle Charging Europe“, seit Dezember 2022 unter dem Markennamen „Milence“. Das junge Unternehmen hat sich den Aufbau eines pan-europäischen Netzwerkes von Ladestationen für Schwerlast-LKWs auf die Fahne geschrieben.

Für die aktuelle Ausgabe des eMove360° Magazins hat Sabine Metzger mit Milence-CFO Wolfgang Brand über die Ziele und die Herausforderungen des Start-Ups gesprochen. Brand verrät außerdem, wann mit den ersten Milence-Ladestationen zu rechnen ist und warum Milence die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von LKW-Fahrern im Blick hat.

Herr Brand, bitte erklären Sie kurz, was sich hinter dem erst vor einem knappen Jahr gegründeten Joint-Venture Milence verbirgt?

Wolfgang Brand: Hinter Milence verbirgt sich ein Gemeinschaftsprojekt der großen Nutzfahrzeughersteller Daimler Truck, Traton Group und Volvo Group, deren verkaufte Nutzfahrzeuge zusammen mehr als 70%, also den Löwenanteil des europäischen Nutzfahrzeugmarktes repräsentieren. Obwohl es sich um direkte Konkurrenten in einem hart umkämpften Markt handelt, haben sich die drei Schwergewichte zusammengetan, um gemeinsam einen entscheidenden Schritt hin zur Elektrifizierung des Schwerlastverkehrs in Europa zu unternehmen und damit ein klares Signal zu setzen. In gewisser Weise löst Milence das berühmte „Henne-oder-Ei“-Problem bezogen auf die Elektrifizierung des Schwerlastverkehrs auf. Die Eine-Million-Dollar Frage ist: Was sollte zuerst geschehen, der Verkauf der vollelektrischen Schwerlast-LKWs oder der Aufbau der passenden Ladeinfrastruktur? Aus unserer Sicht ist ganz klar letzterer der richtige Ansatz. Milence wird daher zeitnah den Aufbau eines pan-europäischen Netzwerkes von Ladestationen für Schwerlast-LKWs vorantreiben.

Ein flächendeckendes Netz an Ladestationen für PKWs ist mittlerweile kein Thema, aber für LKWs sieht es mau aus. In der Tat: Solange die Ladesituation nicht gesichert ist, werden Logistikunternehmen nicht in die Anschaffung einer E-Flotte investieren. Hier kommt Milence in Spiel. Welche Ziele verfolgen Sie?

Brand: Milence steht für den Aufbau eines pan-europäisches Netzwerkes zuverlässiger und nachhaltiger Hochleistungsladelösungen für alle elektrischen Schwerlast-LKWs, unabhängig von ihrer Marke. Ein derartiges Ladenetzwerk gibt es – bis auf kleinere Testbetriebe hier und dort – Stand heute nicht. Konkret wollen wir innerhalb der nächsten fünf Jahre mindestens 1.700 Ladepunkte aufbauen und somit gewährleisten, dass die Käufer von vollelektrischen Schwerlast-LKWs diese auch zuverlässig laden und damit betreiben können. Zu Beginn wird dies sicherlich zunächst ein gewisses Basisnetzwerk sein, welches wir aber sehr rasch flächendeckend ausbauen werden. Neben der Anzahl der Ladepunkte werden wir zudem unseren Schwerpunkt auf die Ladetechnik legen. Unsere Zielsetzung ist es, dass die großen LKWs innerhalb der 45-minütigen Pflichtpause, die eine LKW-Fahrerin/ein LKW-Fahrer nach viereinhalb Stunden Fahrt einlegen muss, voll aufgeladen werden können. Die dafür benötigte Ladetechnik befindet sich noch in der Prototypenphase. Milence wird einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, diese Technologie möglichst rasch am Markt zu etablieren.

Wie sieht das Geschäftsmodell aus?

Brand: Mit unseren Ladestationen stellen wir die Infrastruktur zum Laden der Schwerlast-LKWs der Betreiber von LKWs zur Verfügung – egal ob es sich um eine Flotte von mehreren hundert LKWs oder um nur einen einzelnen LKW handelt. Und das unabhängig davon, von welchem Hersteller der LKW stammt. Sehr vereinfacht ausgedrückt, verdienen wir am Verkauf von Elektrizität.

Mit welchem Energieanbieter wird Milence zusammenarbeiten?

Brand: Nachdem wir, wie gesagt, an einem pan-europäischen Ladenetzwerk arbeiten, werden wir mit zahlreichen Energieanbietern in ganz Europa kooperieren. Dabei liegt uns eine Sache ganz besonders am Herzen: Wir wollen grüne Energie verkaufen. Deshalb ist es uns bei unseren Energielieferanten wichtig, dass diese Strom aus erneuerbaren Energien liefern können.

Wie garantieren Sie, dass der Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wird?

Brand: Bei der Auswahl unserer Energieanbieter verwenden wir größte Sorgfalt darauf, dass diese überwiegend – im Idealfall sogar ausschließlich – grünen Strom liefern können. Grundsätzlich ziehen wir also eine grüne Variante einem Strommix immer vor.

Welches sind die größten Herausforderungen bei der Umsetzung?

Brand: Zunächst einmal ist es generell nicht leicht, ausreichend und vor allem geeignete Flächen für den Bau unserer Ladestationen zu bekommen. Je nachdem, an welchem Ort wir uns befinden, ist darüber hinaus die sogenannte Grid-Connection, also der Zugang zum Netz, nicht immer oder nicht im benötigten Maße vorhanden. Zu guter Letzt – und das ist wohl das Offensichtlichste – ist es natürlich eine große Herausforderung, den Aufbau einer europaweiten Ladeinfrastruktur nachhaltig zu finanzieren.

Ein LKW-Fahrer hat 45 Minuten Pause. Sprich: In dieser Zeit möchte er etwas essen und im Idealfall seinen LKW laden. Realistisch wird dies durch das von ChargIn im Juni 2022 in Oslo vorgestellte Megawatt-Charging-System. Gerade erreicht uns eine Meldung über einen Testlauf von MCS-Ladevorgängen von der Traton-Tochter Scania und ABB E-Mobility. Was tut Milence in dieser Richtung?

Brand: Das sogenannte MCS-Charging ist für uns eine der zentralen Technologiekomponenten, um an unseren Stationen batterieelektrische LKWs schnell und zuverlässig laden zu können. Dementsprechend sind wir mit unseren Zulieferern natürlich aktiv in die Entwicklung dieser Technologie involviert. Davon unabhängig begrüßen wir grundsätzlich alle Initiativen, die in eine solche Richtung gehen und daran arbeiten, den MCS-Standard einem breiten Markt zur Verfügung zu stellen.

Wie werden die Milence-Ladestationen ausgestattet sein?

Brand: Unser Anspruch und gewissermaßen auch unser Slogan ist: „Recharge the truck and recharge the driver“. Denn unsere Ladestationen verfügen nicht nur über die nötige Ladeinfrastruktur, um vollelektrische LKWs aufzuladen, sondern sind daneben auch so ausgestattet, dass die Fahrerinnen und Fahrer während des Ladevorgangs einen möglichst angenehmen Aufenthalt haben und Kraft tanken können. Das fängt bereits mit einer sauberen Toilette und der Möglichkeit zu duschen, also den fast schon banalen Hygienestandards, an. Dazu kommen, wenn möglich, Grünflächen und Erholungszonen zum Ausruhen sowie der Zugang zu Speisen und Getränken etc.

Was im Detail geboten wird, kommt natürlich auch immer auf die Größe und die bestehenden Alternativen vor Ort, z. B. Restaurants oder Raststätten, in der Umgebung der jeweiligen Ladestation an.

Der LKW-Fahrer steht bei Milence im Fokus. Stichpunkt: Recharge the driver. Was möchten Sie dem Fahrer bieten und weshalb liegen Ihnen die Arbeitsbedingungen der LKW-Fahrer am Herzen?

Brand: Um diese Frage zu beantworten, muss man sich eine sehr unangenehme Tatsache vor Augen führen: Die Arbeitsbedingungen der LKW-Fahrerinnen und LKW-Fahrer in Europa sind katastrophal. Deshalb ist es uns ein wichtiges Anliegen, ein Stückweit dazu beizutragen, den Beruf und die Branche insgesamt wieder attraktiver zu gestalten. Dementsprechend geht es uns nicht nur darum, vollelektrische Schwer-LKWs auf die Straßen zu bekommen, sondern auch um die Menschen, die diese fahren. Und um diese müssen wir uns kümmern. Denn was nützt ein vollelektrischer LKW, wenn ihn keiner fährt?

Ist ein Aufbau eigener Ladestationen oder die Zusammenarbeit mit bestehenden Raststätten geplant?

Brand: Wie oben angedeutet, planen wir, sowohl eigene Ladestationen zu bauen als auch mit bestehenden Anbietern von zum Beispiel LKW-Parkplätzen zu kooperieren. Je nachdem werden einzelne Milence-Ladestationen an existenten Rastplätzen zur Verfügung gestellt und in diese integriert oder aber komplette, neue Milence-Ladestationen gebaut werden.

Wie viele Ladestationen sind geplant? Bis wann möchten Sie das angestrebte pan-europäische Ladenetzwerk errichtet haben?

Brand: Als Minimalziel haben wir es uns gesetzt, innerhalb der nächsten fünf Jahre mindestens 1.700 Ladepunkte zu installieren.

Wann werden die ersten Milence-Stationen an den Start gehen können?

Brand: Wir haben uns vorgenommen, noch in diesem Jahr unsere ersten Ladestationen in Betrieb zu nehmen.

Wo sehen Sie Milence in zehn Jahren?

Brand: In zehn Jahren haben wir, wie ich hoffe, einen substanziellen Beitrag zum Aufbau einer pan-europäischen Ladeinfrastruktur geleistet und somit die Beschleunigung der Dekarbonisierung des Schwerlastverkehrs in Europa vorangetrieben. Wünschen würde ich mir zudem, dass wir uns in dieser Zeit auch als Marke mit unseren Werten und Zielen nachhaltig am Markt etabliert haben: nämlich zuverlässig, sicher, sauber, freundlich und kompetent zu sein.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

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22.06.2023   |  

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