Die Frage nach der Säule

Wie ist die Lage in puncto Ladeinfrastruktur? Im Experteninterview gibt Daniel Lautensack von ABB seine Einschätzung.

Die deutsche Bundesregierung will bis 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf die Straße bringen, doch die Zulassungen bleiben weit hinter den Erwartungen zurück. Als Haupt¬ursache gilt, nach wie vor, die inzwischen sprichwörtliche „Reichweitenangst“. Dass die Kapazitäten der Akkus derzeit sprunghaft steigen, hilft dabei wenig. Denn solange die Versorgung mit Ladesäulen nicht flächendeckend gewährleistet ist, hilft das denkbar wenig. Im Interview gibt Daniel Lautensack, Head of LPG Electric Vehicle Charging Infrastructure bei der ABB Automation Products GmbH, einen Überblick über den Stand der Dinge in Sachen Ladeinfrastruktur.

Herr Lautensack, ein funktionierendes Tankstellennetz gibt es doch vor allem deshalb, weil es ein Geschäft ist. Kann man also wirklich eine flächendeckende Ladeinfrastruktur aufbauen, solange man mit dem Betrieb von Ladesäulen noch kein Geld verdienen kann?

Lautensack: Es wird immer kritisiert, Ladeinfrastruktur könnte nicht kostendeckend betrieben werden. Wir sehen das nicht so. Schnellladeinfrastruktur kann definitiv kostendeckend betrieben werden. Mit nur fünf Ladungen je Tag kann eine Schnellladesäule kostendeckend arbeiten. Ab der sechsten Ladung kann man damit Geld verdienen. Es benötigt dazu nur genug Fahrzeuge im Einzugsgebiet der Ladesäule. Nach unseren Erfahrungen benötigt eine Schnellladesäule ca. 350 – 400 Fahrzeuge im Einzugsgebiet für einen kostendeckenden Betrieb.

Wie sollte Ihrer Meinung vorgegangen werden, um die „Strom-Tank-Situation“ zu verbessern?

Lautensack: Im Bereich der automobilen e-Mobilität muss der Hochlauf der Ladeinfrastruktur Hand in Hand mit dem Hochlauf der Automobilindustrie vonstattengehen. Fahrzeuge benötigen Ladeinfrastruktur und Ladeinfrastruktur benötigt Fahrzeuge, um kostendeckend betrieben werden zu können. Einen komplett flächendeckenden Hochlauf kann es nicht geben, deshalb halte ich es für sinnvoll den Aufbau im ersten Schritt in den Großstädten voranzutreiben. Dort könnte z.B. ein Fokus auf den Taxiverkehr gelegt werden, das würde dem Thema eine starke Sichtbarkeit im Markt garantieren. Nur wenn die Anzahl der Fahrzeuge in Korrelation zur verfügbaren Ladeinfrastruktur stehen, bleibt das Thema für alle Beteiligten interessant.

Wer sollte in die Pflicht genommen werden, um die Lage der Elektromobilität in Deutschland zu verbessern? Die Industrie oder die Bundesregierung?

Lautensack: Meiner Ansicht nach keiner der Beiden. Optimal wäre es, wenn sich beide zurückhalten und sich auf ihre Hauptaufgaben konzentrieren. Beide sollten dem neuen Markt der e-Mobilität Raum lassen, damit neue Ideen und Geschäftsmodelle entstehen können. Leider wird versucht, zu viele Claims abzustecken die den Markt eher behindern. Man sollte dem Markt mehr vertrauen und ihm mehr Freiraum gewähren. Weniger Regulation wäre notwendig. Jedoch müssen auch die gesetzlichen Bedingungen verbessert werden. Unser Energiewirtschaftsgesetzt ist zu kompliziert und wird vielleicht nur von
einer Handvoll Menschen verstanden. Hier wäre ein Ansatzpunkt für eine Vereinfachung, die dem Thema dienen würde, vorausgesetzt es geht in die richtige Richtung.

Wie kritisch sehen Sie die Standardisierungsproblematik bei den Ladestationen, insbesondere wenn manche Autohersteller – wie Tesla – exklusive Ladenetzwerke anbieten?

Lautensack: Wir haben, Stand heute, in Europa drei Standards: Typ 2 für das AC Laden, CHAdeMO und CCS für das DC-Schnellladen. Tesla ist ein proprietärer Standard der nur die eigenen Fahrzeuge bedienen kann. Die Frage, die sich stellt, ist: Kann Tesla diesen Service langfristig durchhalten? Sobald Tesla in den wirklichen Massenmarkt möchte, müssen sie auf Standards ausweichen. Ein Massenmarkt kann ohne entsprechende Standards langfristig nicht bedient werden.

Sie sind jetzt seit zweieinhalb Jahren als Head of LPG Electric Vehicle Charging Infrastructure für die Ladeinfrastrukturprodukte der ABB zuständig. Gibt es ein Projekt, das Ihnen hier besonders am Herzen liegt?

Lautensack: Es gibt einige Projekte, die sehr interessant sind. Die e-Mobilität beschränkt sich nicht nur auf die Straße bzw. die Automobilindustrie. Die e-Mobilität findet auf der Straße, auf dem Wasser und auch in der Luft statt. Wenn man in Deutschland die Städte mit Binnenhafen betrachtet, wird man feststellen, dass die Hälfte der CO2-Emissionen im Hafen erzeugt wird. Eine Elektrifizierung der Flussschifffahrt könnte hier einen massiven Beitrag zur Entlastung beitragen. Das beinhalte vollelektrische Schiffe, Anlegestellen mit ausreichendem Landstromanschluss bis hin zur energetischen Entsorgung des Mülls, der auf den Schiffen erzeugt wird.

Glauben Sie, dass der aktuelle VW-Skandal ein Katalysator für den Umstieg zur Elektromobilität werden könnte?

Lautensack: Er könnte als Flucht nach vorn genutzt werden, um das Thema e-Mobilität schneller voranzutreiben.

Interview: Christoph Eichholz,
YooCorp Redaktion, www.yoocorp.com

Please follow and like us:

Das könnte Sie auch interessieren