Die Wahrheit hinter dem Apple- & Google-Car

Täglich neue Gerüchte und Ankündigungen zu autonomen, batterieelektrischen Fahrzeugen aus dem Silicon Valley von Apple oder Google verunsichern die deutsche Automobilindustrie zunehmend.

Es scheint, als würden die Unternehmenslenker unweigerlich die Rolle eines Getriebenen einnehmen. Dabei lässt sich bei genauem Betrachten der Aktivitäten der Kalifornier nur festhalten, dass es außer Prototypen und Personalmeldungen noch wenig Konkretes gibt. Die deutsche Autoindustrie sollte diesem Hype daher Sachlichkeit, Souveränität und Selbstbewusstsein entgegensetzen und die Deutungshoheit über die Mobilität der Zukunft zurückgewinnen. Berylls Strategy Advisors hat elf Fragen an Manager von OEMs und Zulieferern, die den internen Diskurs im Unternehmen anregen sollen:

1. Wieso sollten Apple & Co. eigentlich Autos verkaufen?

Automobile zu bauen, zu vertreiben und vor allem auch den Service anzubieten, ist definitiv nicht das Kerngeschäft von Apple & Co. Angesichts der bestehenden Anbieterstrukturen, Investitionsbedarfe, weltweiten Überkapazitäten und Margenaussichten wird es das auch nicht werden. Für die Silicon-Valley-Akteure ist es viel naheliegender, ihr bestehendes Kerngeschäft zu erweitern, statt neue und bis dato völlig unbekannte Geschäftsfelder zu erschließen. Für diese Unternehmen gibt es aussichtsreichere Geschäftsfelder mit interessanteren Marktstrukturen und stärkerer Skalierbarkeit als den Automobilbau.

2. Was macht das Automobilgeschäft für diese Unternehmen denn interessant?

Es ist die Zeit, die wir Tag für Tag im Auto verbringen. Durchschnittlich verbringt jeder Berufspendler über eine Stunde in seinem Fahrzeug. Das ist brachliegendes Potenzial für Unternehmen, die von der Mediennutzung leben. Einfache Logik: Fährt das Auto autonom, kann die Mediennutzung deutlich erweitert werden, da der Fahrer nach Beschäftigung sucht. Wer den medialen Zugang zum Fahrer hat, dem winkt Mehrgeschäft durch Daten, Apps, Verkauf von Inhalten, Werbung und dem Generieren von Nutzungsdaten – ein Milliardenmarkt.

3. Was wollen Apple & Co. also wirklich?

Sie wollen das autonome Fahrzeug und sie wollen diejenigen sein, die den Fahrer und andere Passagiere während der Autofahrt mit Daten und Inhalten versorgen. Dafür brauchen sie die Automobilhersteller, damit autonomes Fahren Realität wird. Das Kalkül: Da jeder Apple & Co. zutraut, ein autonomes Auto zu bauen, führen Ankündigungen aus dem Silicon Valley dazu, dass der Rest der Industrie die Entwicklungs-aufwendungen und das -tempo steigert – und am Ende bekommen Apple und andere, was sie suchen: Ein flächendeckendes Angebot autonomer Pkw von verschiedenen Marken und in allen Preisklassen.

4. Bringen Apple-Autos Mehrvolumen für die Industrie?

Wohl kaum. Wenngleich heute zahlreiche Zulieferer große Hoffnungen in Geschäfte mit „neuen“ OEMs setzen, echtes Mehrgeschäft wird es dennoch nicht geben. Auch wenn 2020 Apple-Autos die Straßen bevölkern werden, wird der Effekt auf den gesamten Fahrzeugabsatz äußerst gering sein. Das Apple-Auto bringt kein zusätzliches Marktwachstum. Leicht verändern würde sich lediglich die Verteilung des Marktvolumens auf die Anbieter.

5. Was können OEMs aus der Diskussion lernen?

Die Entwicklungen in der Consumer Electronics-Industrie beeinflussen das Kundenverhalten und die Erwartungen nachhaltig. „Always on“ auch beim Autofahren ist die Zielsetzung – dafür muss das Auto eben auch autonom fahren. OEMs müssen dafür sorgen, dass der Kunde im Fahrzeug das Medienerlebnis haben kann, wie er es auch außerhalb des Fahrzeugs hat. Integration bestehender Hardware, schnelle und stabile Netzverbindungen, die flexible Nutzung von eigenen und geteilten Inhalten, das alles muss einfach und überall möglich sein.

6. Haben OEMs in Sachen Infotainment ihre Hausaufgaben gemacht?

Diese Frage schließt sich logisch an – und die OEMs haben ihre Hausaufgaben nicht zufriedenstellend erledigt: Schnell veraltete Hardware, OEM-spezifische Benutzeroberflächen, individuelle Steckverbindungen – das ist die Realität in aktuellen Fahrzeugen. Die OEMs haben eindeutig Schwächen bei Infotainment, der Einbindung von Unterhaltungselektronik ins Automobil und der Aktualität ihrer Hard- und Software. Da ist es nachvollziehbar, dass Apple & Co. ungeduldig werden. Hieran muss kooperativ, d.h. konzernübergreifend gearbeitet werden, durch die Schaffung offener Plattformen, schneller Software-Updates, flexibler Hardware-Integration und der variablen Möglichkeit zur Einbindung von Online-Diensten. Die Zeit OEM-spezifischer Insellösungen muss zu Ende gehen, da kein OEM in Zukunft das Veränderungstempo der CE-Industrie mehr mitgehen kann.

7. Liegt die Zukunft der Mobilität wirklich im autonomen Fahren?

Der vermeintliche Angriff aus dem Silicon Valley und die besorgten Reaktionen offenbaren, dass OEMs immer noch kein klares Verständnis der Mobilität der Zukunft vorliegt. Elektrisch, autonom, geteilt oder per App bestellt oder alles gleichzeitig? Die OEMs müssen endlich ein klares Verständnis der Mobilität der Zukunft entwickeln und formulieren: Was will der Kunde, wofür zahlt er, was macht betriebswirtschaftlich Sinn und was löst effektiv das vorhandene Mobilitätsproblem des Kunden? Unkoordiniertes Zukaufen von Mobilitäts-Dienstleistungen und Startups zu hohen Preisen und der Aufbau bunter Dienste-Portfolios ist keine Strategie, sondern Aktionismus. Für viele Business Cases der Gegenwart steht der Realitäts-Check der nachhaltigen Kundennachfrage noch aus.

8. Was ist der Beitrag deutscher OEMs zur Mobilität der Zukunft?

Fakt ist, bei aller Euphorie um autonom-elektrisches Fahren, im klassischen Automobilbau steckt noch erhebliches Innovationspotential. Und das ist die Domäne der OEMs: tiefe Entwicklungskompetenz in allen Fahrzeug-Modulen, Großserien-Expertise, Infrastrukturen (Beschaffung, Vertrieb, After Sales) sowie eine breite Kundenbasis. All dies aufzubauen, wäre für Akteure, die nicht aus der Automobilindustrie kommen, ein aufwendiger, teurer Prozess, der Jahre dauern wird. Sicher ist, dass es eine Serienfertigung „neuer“ OEMs geben wird – diese werden sich allerdings ohne schlagkräftige Kooperationen mit etablierten Autobauern oder Auftragsfertigern im Bereich homöopathischer Stückzahlen bewegen. Somit können sich die deutschen OEMs souverän als interessante Kooperationspartner für die „New Kids on the Block“ positionieren und aus einer Position der Stärke heraus ihre Kompetenzen in dieses Spiel einbringen.

9. Rollende Smartphones oder Autos mit Internetanschluß?

Kommt drauf an: Wenn OEMs verhindern wollen, dass ihre Fahrzeuge zu rollenden Smartphones und damit austauschbar werden, dann haben sie den Schlüssel hierfür selbst in der Hand. Kooperationen mit Medienanbietern sind sinnvoll, aber die Hoheit muss der OEM behalten. Das reine Hosting von Apps und Inhalten ist wenig differenzierend und bietet kein Geschäftsmodell für die Autohersteller. OEMs müssen sich daher auf die Kraft der Differenzierung der Marke und des Mobilitätsversprechens besinnen, denn die Marke des fahrbaren Untersatzes ist dann kundenrelevant und entscheidungstreibend, wenn die Mediennutzung im Fahrzeug austauschbar ist.

10. Ist der Kauf von Autos überhaupt noch zeitgemäß?

Nein, und die starke Ausweitung von Finanzdienstleistungen war nur der erste Schritt. Was OEMs und Zulieferer aus der CE-Industrie auch lernen können, ist das Einführen neuer Erlös- und Gewinnmodelle (Pay per Use bzw. Pay per Update, Abo-Modelle). Es muss stärker der Gesamterlös über die gesamte Nutzungsphase des Automobils ins Visier genommen werden statt nur die Bezahlung des Listenpreises bei Bestellung. Eine einfache Analogie zeigt, wie schnell sich etabliertes Kundenverhalten ändern kann: Vor wenigen Jahren noch haben Kunden Musik gekauft. Heute verdrängen Abonnement-Modelle den klassischen Kauf.

11. Welchen Einfluss hat das Silicon Valley auf die Kunden?

Eine drastische Veränderung der Kundenerwartung an die Aktualität von Hardware – alle 1,5 Jahre ein neues oder zumindest überarbeitetes iPhone! Die OEMs müssen ihre Architekturen überdenken und auch bei der Hardware Möglichkeiten für Upgrades innerhalb des klassischen Fahrzeug-Lebenszykluses bieten. In der Konsequenz muss die Mobilitäts-Hardware von der Medien-Hardware entkoppelt werden, also unterschiedliche Fahrzeugmodule müssen individuelle Lebenszyklen besitzen. Erst dann können variabel eigene Hardware und Angebote diverser Medienanbieter in das Auto integriert werden – und nicht umgekehrt.

Über Berylls Strategy Advsiors

Berylls Strategy Advisors ist eine auf die Automobilindustrie spezialisierte Top-Managementberatung mit Büros in München, Zürich, Detroit und Shanghai. Gemeinsam mit Automobilherstellern, Automobilzulieferern, Engineering-Dienstleistern, Ausrüstern sowie Investoren arbeiten die Strategieberater an Antworten zu den zentralen Herausforderungen der Automobilindustrie. Im Fokus stehen dabei besonders Innovations- und Wachstumsstrategien, Begleitung von Mergers & Acquisitions und Maßnahmen zur Ergebnisverbesserung entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Berylls‘ Beratungsteams zeichnen sich durch langjährige Erfahrung, fundiertes Wissen sowie innovative Lösungskompetenz aus. Gemeinsam mit seinen spezialisierten Kooperationspartnern verfügt Berylls über tiefes technologisches Know-how, breites Marktverständnis und leistungsfähige Netzwerke zur Entwicklung von umsetzungsstarken Lösungen.

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