Emanuella Wallin, Polestar. Foto: Polestar

eMove360° Women-In-Tech-Interview: Emanuella Wallin, Projektleiterin bei Polestar für V2G

In der eMove360°-Women-In-Tech-Serie stellen wir inspirierende Frauen vor, die in der Automobilbranche Fuß gefasst haben. Für die März-Ausgabe des eMove360° Magazins hat Chefredakteurin Sabine Metzger mit Emanuella Wallin, Projektleiterin bei Polestar für V2G, über die von Polestar initiierten Vehicle-to-Grid-Projekte und darüber wie ein Virtual Power Plant die Energiewende unterstützen könnte, gesprochen.

Frau Wallin, zum Einstieg in unsere Women-In-Tech-Interview ein paar Worte zu Ihrer Person. Skizzieren Sie kurz Ihren beruflichen Werdegang? Wie sind Sie in die Automobilbranche gekommen?

Emanuella Wallin: Polestar hat mein Interesse mit seinen atemberaubenden Autos, seinem Engagement für Innovation und seinem Status als Startup geweckt. Bevor ich zu Polestar kam, war ich beruflich vor allem mit kurzen Projekten in der Automobilbranche beschäftigt. Während meiner gesamten beruflichen Laufbahn habe ich mich auf Software und neue Technologien konzentriert und dabei verschiedene Branchen wie Energie, Telekommunikation, Hygiene und Vertragsanalytik abgedeckt. Ich begann als Softwareentwicklerin und wurde dann zur leitenden Produktmanagerin eines Teams für maschinelles Lernen und Analysen, bevor ich meinen Platz bei Polestar fand. In Anbetracht der zunehmenden Abhängigkeit der Automobilindustrie von Software und Spitzentechnologien passten meine früheren Erfahrungen nahtlos zu den Anforderungen meiner jetzigen Rolle bei Polestar.

Seit wann sind Sie im Polestar-Team? Welche Aufgabenfelder gehören zu Ihrem Kernbereich als Projektleiterin für V2G?

Wallin: Ich bin nun bald im dritten Jahr bei Polestar als Mitglied des dynamischen Charging- und Energy-Teams. Ich spiele eine entscheidende Rolle bei der Steuerung verschiedener Projekte, die sowohl technisches Wissen als auch eine strategische Vision für die Kommerzialisierung erfordern. Von der Überwachung technischer Aufgaben bis hin Förderung geschäftsbezogener Initiativen. Das Team ist maßgeblich an der Entwicklung der Komponenten und der Software des Fahrzeugs sowie der cloudbasierten Softwaredienste beteiligt, die alle auf die Entwicklung innovativer Produkte ausgerichtet sind. Diese innovativen Angebote, die Fortschritte bei der Ladeeffizienz und nahtlose Erfahrungen sowie intelligente und umweltfreundliche Lösungen umfassen, sind darauf ausgelegt, den sich verändernden Bedürfnissen unserer Stakeholder und Kunden gerecht zu werden. Neben den internen Vehicle-to-Grid (V2G)-Projekten leite ich unser Engagement in externen Initiativen auf globaler Ebene. Vor kurzem habe ich die Genehmigung für zwei Projekte erhalten, die von Vinnova extern finanziert werden. Bei dem ersten handelt es sich um ein umfangreiches Pilotprojekt in Göteborg, bei dem zweiten um die Zusammenarbeit mit EPRI und CEC zur Entwicklung einer V2G-Roadmap in Kalifornien.

Wie schätzen Sie das Potenzial der V2G-Technologie ein und wie kann sie eine Transformation der Energieinfrastruktur unterstützen?

Wallin: Mit der Vehicle-to-Grid-Technologie kann man Elektroautos nicht nur mit Strom aus dem Netz laden, sondern bei Bedarf auch Strom ins Netz zurückspeisen. Darüber hinaus können Elektrofahrzeuge als dezentrale Pufferspeicher genutzt werden, die überschüssigen Strom zwischenspeichern und bei Bedarf wieder zur Verfügung stellen. Ist die Stromnachfrage gering und der Strompreis günstig, kann das Fahrzeug wieder aufgeladen werden. In Zeiten hoher Stromnachfrage kann das Stromnetz entlastet werden, indem der zwischengespeicherte Strom aus Elektrofahrzeugen entnommen wird. Das ist gut für den Geldbeutel und gut für die Umwelt. In großem Maßstab eingesetzt, bietet die V2G-Technologie ein großes Potenzial zur Unterstützung der Elektrifizierung der Gesellschaft und des Übergangs zu mehr erneuerbaren Energien.

Wie kann es gelingen, eine ganze Flotte von Elektrofahrzeugen als flexible Energiequelle im Energiemarkt zu nutzen? Bisherige Ansätze konzentrieren sich auf einen einzigen Hauseigentümer.

Wallin: Da ein einzelnes Elektrofahrzeug eine zu kleine Ressource ist, um direkt an verschiedenen Energie- und Flexibilitätsdienstleistungsmärkten teilzunehmen, ist ein Aggregator erforderlich, um mehrere Ressourcen zu verbinden und ein größeres Gebot abzugeben. Wir entwickeln ein virtuelles Kraftwerk (VPP), das alle teilnehmenden Polestar 3-Fahrzeuge als eine Einheit ans Netz verbindet. Das cloudbasierte VPP berechnet die Gesamtkapazität der angeschlossenen Batterien und leitet das Laden oder Entladen basierend auf der Netznachfrage und der Optimierung der Batterielebensdauer ein. Die verfügbare Kapazität oder gespeicherte Energie der gesamten Flotte kann dann auf dem Energiemarkt verkauft werden und das Netz unterstützen.

Können Sie bereits abschätzen, wie viele Eigentümer von Elektrofahrzeugen an einem V2G-Programm teilnehmen müssten, um den Energiespeicherbedarf bis 2030 decken zu können? Lässt sich das überhaupt für einzelne Länder und Städte oder gar weltweit herunterbrechen?

Wallin: Um hier eine umfassende Antwort geben zu können, wäre eine detaillierte Analyse erforderlich, die die spezifischen Merkmale jeder Region, das Tempo der Einführung von Elektrofahrzeugen und die sich entwickelnde Energielandschaft berücksichtigt. Um die Anzahl der Besitzer von Elektrofahrzeugen zu bestimmen, die benötigt werden, um den Bedarf an Energiespeichern durch V2G-Programme bis 2030 zu decken, muss man die Größe der Fahrzeugbatterien, die Ladeinfrastruktur und den spezifischen Energiebedarf jeder Region sowie die geltenden Regulierungsbehörden kennen. All dies kann auf die einzelnen Länder und Städte heruntergebrochen werden, aber da so viele verschiedene Faktoren eine Rolle spielen, ist dies eine sehr komplexe Aufgabe. Allerdings können wir uns aktuelles Beispiel ansehen: Wenn eine Million Fahrzeuge jeweils 10 kWh liefern (ca. 10-20 % der Batterie), kann dies in einer Stunde etwa 10 GW in das Netz einspeisen, was mehr als einem Drittel des maximalen Strombedarfs entspricht, den wir normalerweise haben, selbst am kältesten Wintertag in Schweden.

Mit dem Rückverkauf von Strom in das Energienetz lässt sich das eigene Auto mitfinanzieren. Das bedeutet V2G könnte auch die für den Betrieb eines Elektrofahrzeugs anfallenden Kosten reduzieren. Wie hoch schätzen Sie diesen Betrag ein?

Wallin: Das ist richtig. Durch die Teilnahme an den Netzdiensten könnten Elektroautos zu einer Einnahmequelle werden, anstatt ungenutzt herumzustehen, wenn sie nicht gebraucht werden. Unser Pilotprojekt zielt darauf ab, mögliche Geschäftsmodelle für V2G zu erforschen, um ein Modell zu finden, von dem alle Parteien, einschließlich der Besitzerinnen und Besitzer von Elektroautos, profitieren. Um abschätzen zu können, wie hoch die Einnahmen sein könnten, müssen verschiedene Variablen berücksichtigt werden, wie die Höhe der Strompreise, die Dauer, die das Elektroauto im Netz ist, und das Fahrverhalten. Kurz gesagt, es ist noch zu früh, um genaue Angaben zu Einnahmen oder Kosteneinsparungen zu machen, aber die Suche nach Anreizen für die Besitzerinnen und Besitzer von Elektroautos hat Priorität.

Um den Bedarf des Gesamtsystems zu jedem beliebigen Zeitpunkt ermittelt zu können, müssten die Ladestationen für V2G mit Software ausgestattet werden, die mit dem zentralen Stromnetz kommuniziert. Welche Herausforderungen ergeben sich hierbei?

Wallin: Die Herausforderungen beziehen sich auf Kommunikationsprotokolle und -standards, Datensicherheit, Nachfrageprognosen, regulatorische Rahmenbedingungen und Infrastrukturinvestitionen. Zum einen sind noch nicht alle notwendigen Kommunikationsprotokolle und Standards entwickelt. Um jedoch eine breite Akzeptanz zu gewährleisten, ist Interoperabilität wichtig, was bedeutet, dass die korrekten Daten, die zwischen Systemen ausgetauscht werden, auf standardisierte Weise definiert werden müssen. Da es sich um sensible Informationen über Energieangebot und -nachfrage handelt, müssen die Daten durch robuste Cybersicherheitsmaßnahmen geschützt werden. Zum anderen sind genaue Vorhersagen des Energiebedarfs in Echtzeit wichtig für die Netzstabilität – dies ist eine Voraussetzung für die Teilnahme am Flexibilitätsmarkt. Darüber hinaus ist es wichtig, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, der die Integration von V2G unterstützt.

Bis wann rechnen Sie mit einer flächendeckendenden Ausstattung mit bidirektionalen Lademöglichkeiten in Fahrzeugen?

Wallin: Viele Player kündigen derzeit V2G-Pilotprojekte an. Angesichts der Herausforderungen gehe ich jedoch davon aus, dass es mehrere Jahre dauern wird, bis V2G mit interoperablen Standards eine größere Verbreitung findet. Für die Vehicle-to-Home (V2H)-Technologie gibt es eine Möglichkeit eines früheren Markteintritts. Obwohl die V2H-Technologie technische Aspekte mit V2G teilt, könnte sich V2H schneller durchsetzen, da es einige der zusätzlichen technischen Komplexitäten eliminiert, die mit der Teilnahme am Netz verbunden sind.

Blick in die Zukunft: Wohin wird sich die Automobilbranche in den nächsten 20 Jahren entwickeln?

Wallin: Wir werden in den nächsten zwanzig Jahren mehr Veränderungen erleben als je zuvor. Anders als in der Vergangenheit ist dieser Wandel nicht schleichend, sondern radikal. Die größte Herausforderung besteht darin, den Übergang zu einer nachhaltigen Mobilität zu gestalten. Elektroautos sind ein Teil dieser nachhaltigen Mobilität, aber Elektroautos sind per se noch nicht grün. Elektroautos sind nur dann wirklich umweltfreundlich, wenn sie mit erneuerbarem Strom betrieben werden und wenn es uns gelingt, die gesamte Wertschöpfungskette zu dekarbonisieren. Das ist wahrscheinlich die größte Herausforderung unserer Zeit. V2G ist ein wichtiger Baustein zur Unterstützung des Übergangs zu erneuerbaren Energien. Bezüglich der Produktion haben wir uns mit dem Projekt Polestar 0 das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis 2030 ein wirklich klimaneutrales Auto zu entwickeln – und zwar ohne irreführende Kompensationsmaßnahmen wie das Pflanzen von Bäumen ähnliche Maßnahmen zu setzen. Mit diesen Initiativen wollen wir auch ein Bewusstsein dafür schaffen, dass jetzt gehandelt werden muss. Die gesamte Automobilindustrie ist aufgerufen, sich in Richtung Null zu bewegen.

Noch eine persönliche Frage zum Schluss: Womit laden Sie Ihre eigenen Akkus auf?

Wallin: Ich tanke neue Energie, indem ich Zeit mit Familie und Freunden verbringe und in der Natur unterwegs bin. Jeden Samstag- und Sonntagmorgen, egal ob es regnet oder die Sonne scheint, bin ich beim Joggen in der Natur unterwegs. Es ist mein verlässliches Ritual, um neue Energie zu tanken, indem ich den ständigen Wechsel der Jahreszeiten beobachte und die Elemente umarme, sei es Schnee, Regen oder Sonnenschein.

Vielen Dank für das Interview.

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14.03.2024   |  

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