Zusammensetzung einer Na-Ionen-Batterie Peußisch Weiß, Flüssigelektolyt. Foto: Fraunhofer IKTS

Fraunhofer IKTS Gastbeitrag: Wann kommt der Natrium-Akku nach Deutschland?

Der notwendige Moment für den Hochlauf nachhaltiger Batterietechnologien war gestern. In China sind Autos mit Natrium-Akku bereits auf dem Markt. Dabei ist Deutschland selbst nur einen Wimpernschlag von der Einführung entfernt – wenn jetzt die richtigen Weichen gestellt werden. Entscheidender Aspekt dafür sei die kluge Nutzung von regional und technologisch diversifiziertem Know-how. Chancen birgt die »Neue Via Regia der Batterien«.

Ein Gastbeitrag von Fanny Pohontsch mit Prof. Dr. Michael Stelter und Prof. Dr. Martin Oschatz im aktuellen eMove360° Magazin.

Es sind zwei Aspekte, die die deutsche Industrie in Zeiten der Transformation treiben: ein neutraler CO2-Fußabdruck bei deutlich gesenkten Kosten für neue Produkte. Um dies zu erreichen, ist es unerlässlich, Handelsbeziehungen, Produktionsprozesse, Technologien und Ressourceneinsatz neu zu denken. Das Verfolgen der Klimaziele und die Abkehr der Automobilindustrie vom Verbrennungsmotor lassen den weltweiten Batteriemarkt laut einer Studie von McKinsey bis 2030 jährlich um 30 % auf 4700 GWh wachsen – heute sind es 700 GWh. Eine Batterie ist dabei nie nur Mittel zum Zweck. Sie selbst birgt bisher ungenutzte Nachhaltigkeitspotenziale. Der Schlüssel liegt vor unserer Tür: Natrium.

Natrium-Ionen-Batterien bieten Chance für Wertschöpfung in Deutschland

»Dank ihrer einzigartigen Eigenschaften lässt sich mit einer Natrium-Ionen-Batterie sozusagen der Reset-Knopf für die herkömmliche Denk- und Einsatzweise von Batterien drücken. Bei Natrium-Batterien können wir uns plötzlich einer einheimischen Rohstoffbasis bedienen, die unabhängig von strategischen, ja kritischen Importen ist. Auch die benötigte technologische Infrastruktur ist vorhanden. Das ist die Chance für Wertschöpfung in Deutschland!«, sagt Prof. Michael Stelter vom Fraunhofer IKTS und Direktor am Center for Energy and Environmental Chemistry CEEC der Friedrich-Schiller-Universität (FSU) in Jena. »Davon bin ich nach über zehn Jahren Natrium-Batterieforschung absolut überzeugt!«.

Deutschland hat in den vergangenen Jahren bedeutende Leuchttürme der Batterietechnik geschaffen. »Wenn wir allein nach Thüringen und Sachsen schauen: Diese Länder haben enorm vorgearbeitet und investiert, z. B. in das Batterie-Innovations- und Technologie-Center BITC. Alle einzelnen Wertschöpfungsschritte für die Entwicklung und Fertigung von Batterien sind von Westthüringen bis nach Ostsachsen entlang der Autobahn A4 bereits abgebildet. Wie auf einer Perlenkette versammeln sich hier tausende Personenjahre an Erfahrung.«

Im Mittelalter verlief entlang der heutigen Autobahn A4 die Via Regia – eine Straße, die für die technologische und wirtschaftliche Erschließung der Region zentral war. »Heute kann man von einer Neuen Via Regia der Batterien sprechen«, sagt Michael Stelter. »Dieses Potenzial muss zwischen Industrie und Forschung nur noch strategisch koordiniert werden, um so schnell wie möglich in die großskalige Kommerzialisierung von Natrium-Ionen-Batterien zu kommen. Kluge Köpfe, exzellente Materialentwicklung und Zellforschung, herstellende Betriebe und Produktion, Maschinenbau und vor allem die Rohstoffe – alles ist schon lange und vollumfänglich da.«

Nach Daten der Wirtschaftsförderung Sachsen und Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen sind über 200 Akteure der Batterieforschung und -wirtschaft auf dieser Achse angesiedelt. Für die weitere Fachkräftegewinnung und -qualifizierung sorgen bereits aktuelle Vorhaben wie der Bildungsverbund Batterie Mitteldeutschland und BeaT, die beide durch das BMWK-gefördert werden.

Regionale Rohstoffe und Upcycling biogener Abfälle: Zusammensetzung von Natrium-Ionen-Batterien

Mit Blick auf die Materialien ist Natrium in Deutschland tatsächlich unbegrenzt und damit kostengünstig verfügbar, z. B. in Form von Natriumchlorid, also Kochsalz. In einer Natrium-Ionen-Batterie herrschen ähnliche Wirkprinzipien wie in einem Akku aus Lithium – beide Konzepte beruhen auf Alkali-Metallionen als Ladungsträger. Expert*innen kennen diese Chemie gut. Zudem greifen Sie auf Erfahrungen aus angrenzenden Technologien zurück, wie z.B. der ZEBRA-Batterie aus den 90er Jahren.

»Die Zellchemie ist entscheidend für eine relevante Leistungsdichte. Wir verstehen, wie sich Elektrodenprozesse zwischen Lithium und Natrium unterscheiden«, sagt Martin Oschatz, Chemiker und Inhaber des Lehrstuhls für Chemie der Materialien für Energieanwendungen in Jena. »Hard Carbons haben eine besondere Affinität zu Natrium und anodenseitig hohe Plateaukapazitäten. Durch ihre innere Porosität vergrößern wir die Oberfläche und generieren maximale Speichervolumina für Natrium-Ionen. Dadurch erreicht eine Batterie eine hohe Energiedichte. Das beginnt auf Nanometerebene.«

Hard Carbons sind amorphe Kohlenstoffe. Sie ersetzen Graphit und werden durch einfache Erhitzung geeigneter Ausgangsstoffe hergestellt – insbesondere aus kohlenstoffhaltigen biogenen Abfällen, wie Nussschalen oder Biertreber. Allein davon fielen 2019 in Deutschland 1,5 Millionen Tonnen an. Kathodenseitig nutzen Forscher*innen unter anderem Preußisch Weiß. Dabei handelt es sich um einen Farbstoff, der seit 100 Jahren auch als Berliner Blau bekannt ist und mit Eisen, Kohlenstoff und Stickstoff aus ebenso gut verfügbaren Elementen besteht.

Wie steht es also um das Thema Recycling der Natrium-Ionen-Batterie, wenn die genutzten Rohstoffe per se umweltfreundlich, unkritisch und günstig sind? Nach Michael Stelter sei das Recycling bei Natrium-Ionen-Batterien wesentlich einfacher als bei Lithium-Batterien, da die Zellen kein Kupfer und Cobalt enthalten. »Recycling benötigt man daher lediglich für die wenigen wertvollen metallischen Elemente der Batterie. Neben Eisen geht es hier also insbesondere um Aluminium, das wir als Stromableiter nutzen. Interessant für den ökologischen Fußabdruck im Recycling wären aber sicherlich die vorgelagerten Synthesen der Batteriematerialien mit dem Potenzial, direkt die hergestellten Materialien wieder zurückzugewinnen.«

Einsatz von Natrium-Ionen-Batterien in preisgünstigen Elektroautos und Privathaushalten

Mit der Natrium-Ionen-Batterie adressieren Experten zunächst die Mobilität gefolgt von Privathaushalten und der Industrie. »Elektrische Kleinst-, Klein- und Mittelklassefahrzeuge – einfache, günstige Autos, die für ihren Zweck gar keine 800 km erreichen müssen: Das ist ein riesiger Markt, der mit der anspruchsvollen, teuren Lithium-Technologie gar nicht bedient werden kann und der hinsichtlich der Mobilitätswende deutlich wertvoller ist«, so Stelter.

Aktuell beträgt der durchschnittliche Listen-Grundpreis für ein Elektrofahrzeug im Kleinwagensegment laut ADAC e.V. immerhin 36 400 €. Durch den Einsatz von Natrium-Ionen-Batterien ließen sich die Produktionskosten so senken, sodass künftig auch in Deutschland erschwingliche Elektroautos vom Band rollen könnten. »Meist entwickelt sich das parallel: Wer solche Batterien produziert, kann sie im Grunde auch günstig für Privathaushalte mit 10-kWp-Solaranlagen auf dem Dach anbieten oder als industrielle Stromspeicher einsetzen«, ergänzt Martin Oschatz. Entscheidend für den Kostenvorteil der Natrium-Technik werde die Preisentwicklung für die kritischen Komponenten in Lithium-Ionen-Batterien in den nächsten Jahren werden.

Für illusorisch hält er allerdings den Gedanken, China einholen zu können: »Das ist kurzfristig und auf Grundlage der etablierten Technologien überhaupt nicht mehr drin. Fast 90 % der Patente im Zusammenhang mit der Natrium-Technologie kommen aus China. Was wir jetzt erleben, ist ein Weckruf; dass wir wieder mit kreativen technologischen Ideen und Lösungen das Ruder übernehmen und ins Handeln kommen müssen!« Die beiden Forscher unterstreichen dabei die dringende Notwendigkeit einer regional und technologisch diversifizierten Förderung umweltfreundlicher Batterietechnologien: »Indem wir die verschiedenen Potenziale und Stärken unterschiedlicher Akteure in der Branche nutzen, können wir gemeinsam die Entwicklung und den Technologietransfer beschleunigen. Mit einem konzentrierten, die gesamte Technologiekette umfassenden Cluster-Ansatz ließe sich innerhalb von fünf Jahren eine industrielle Massenproduktion von Natrium-Ionen-Batterien in Deutschland herbeiführen. Die Neue Via Regia der Batterien kann hier Sprungbrett sein.« Nötig sei für den schnellen Technologietransfer ein zweistelliger Millionenbetrag.

Fazit:

Deutschland hat alle Voraussetzungen für den Erfolg von Natrium-Ionen-Batterien. Jetzt entscheiden die weitere politische Förderung und die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Forschung, wie schnell die Akkus auch hier auf den Markt kommen. So oder so, sagt Martin Oschatz, setzen er und Michael Stelter alle Hebel in Bewegung, um diese Technologie voranzutreiben. »Denn wenn wir von etwas überzeugt sind, dann ist es die Natrium-Ionen-Technologie«.

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27.03.2024   |  

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