Interview mit Dr. Hartung Wilstermann, Webasto: „Payable E-Mobility for Everyone”

Webasto hat sich als Weltmarktführer für Dachsysteme und Standheizungen eine starke Marktposition als Systempartner der Automobilbranche erarbeitet. Darüber hinaus wagte das Unternehmen Ende 2016 einen strategischen Schritt in Richtung Elektromobilität. Neben Hochvoltheizern und Ladelösungen setzt der bayerische Automobilzulieferer dabei insbesondere auf Batteriesysteme für elektrifizierte Fahrzeuge. Diese „internen Start-ups“ sollen langfristig in einem der momentan dynamischsten Märkte der Welt neue Marktanteile für das Unternehmen sichern.

Dr. Hartung Wilstermann, global verantwortlich für den Bereich Batteriesysteme bei Webasto, spricht im Interview darüber wie sich ein etabliertes Unternehmen in einem neuen Markt positioniert und wie man ein experimentierfreudiges Team als Start-up in eine bestehende Organisation integriert.

Herr Wilstermann, warum stehen Sie jeden Morgen auf (was hat das mit Elektromobilität zu tun)?

Dr. Hartung Wilstermann: Meine persönliche Vision ist „Payable E-Mobility for Everyone”. Ich möchte mit meiner Arbeit einen wertvollen Beitrag zu einer nachhaltigen Zukunft der Mobilität leisten. Mobilität ist nicht nur eine gesellschaftliche Herausforderung, sondern eine wichtige Säule unseres Wirtschaftssystems. Deshalb ist es bei Webasto unser Anspruch, ressourcenschonende Mobilität künftig immer und überall sicherzustellen. Wir sind davon überzeugt, dass das hauptsächlich durch Elektrifizierung sinnvoll ist. Es macht Spaß in einem technologieaffinen, dynamischen Team jeden Tag alles zu geben, um dieses Ziel zu erreichen. Zudem sehe ich mich als Brückenbauer zwischen den beiden Pfeilern „bestehende Organisation“ und „Start-up“, damit letzten Endes ein großes Ganzes daraus wird, das voneinander profitiert und gemeinsam erfolgreich ist.

Ist Webasto für die Umsetzung dieser Vision das richtige Umfeld?

Wilstermann: Absolut! Webasto hat mit seiner Doppelstrategie stark in das Zukunftsfeld Elektromobilität investiert. Dabei kann das Unternehmen auf mehr als 100 Jahre Erfahrung in der Automobilbranche, die relevanten Kompetenzen und globalen Strukturen bauen. Ich denke, Nachhaltigkeit ist hier das entscheidende Stichwort. Das Commitment ist bei unseren langjährigen Vorstandsmitgliedern und den Eigentümerfamilien eindeutig gegeben, zudem bekommen wir Entscheidungen im Zweifel sehr schnell. Bei Webasto haben wir tatsächlich eine hohe Nachhaltigkeit und Weitsicht in solchen Entscheidungen. Gleichzeitig ist Webasto offen für Neues und, wie in der Vergangenheit bewiesen, in der Lage dem Wandel und den Veränderungen in Gesellschaft und Technologie zu folgen. Deshalb ist ein Unternehmen wie Webasto für mich die ideale Plattform, um in ein solches Geschäft hineinzugehen. Man hat einerseits die Stärke eines globalen Marktführers, ohne die Schnelllebigkeit in den Entscheidungen eines börsennotierten Unternehmens. Genau diese Mitte ist optimal für den Aufbau neuer Bereiche.

Batterieproduktion in Deutschland ist ein wichtiges Thema in Politik und Wirtschaft, wie positioniert sich Webasto hier?

Wilstermann: Webasto bringt viele Kompetenzen mit, die entscheidend für das Batteriegeschäft sind: Wir kennen zum Beispiel sehr genau die Anforderungen der Automobilindustrie mit all ihren Standards, wir können auf ein internationales Lieferanten- und Produktionsnetzwerk zurückgreifen und auch die Erfahrung bei der Systemintegration kommt uns für die neuen Produktfelder extrem zu Gute. Unser maximaler Qualitätsanspruch gilt für unsere Batteriesysteme ganz besonders – wir bringen ausschließlich Produkte auf den Markt, die allen OEM-Anforderungen entsprechen und teilweise weit über die geltenden Normen hinaus getestet wurden. Hierfür haben wir in einem bestehenden Webasto-Werk in Hengersberg eines der modernsten Prototypen- und Testing-Center Europas aufgebaut. Mit der Produktion haben wir in Schierling gestartet. In China haben wir gerade ein topmodernes Batterie-Zentrum eröffnet. Außerdem bereiten wir gerade unseren Markteintritt in den USA vor. So viel zur „Infrastruktur“.

Was können Hersteller von elektrischen Fahrzeugen demnach von Ihnen erwarten?

Wilstermann: Wir haben uns von Anfang an sehr stark die Bedürfnisse des Markts angeschaut. Es wird in naher Zukunft viele Hersteller geben, die ihre Batterien selbst entwickeln und fertigen. Dazu wird der ein oder anderen Zelllieferant in die Batteriefertigung einsteigen. Dennoch bleibt viel Geschäftspotenzial mit unterschiedlichen Volumina übrig. Auf diese Bereiche zielen wir ab. Das heißt, wir fungieren für unsere bestehenden Automotive-Kunden auch im Batteriebereich als System- und Entwicklungspartner und können hier individuell gefertigte Batteriesysteme anbieten. Außerdem haben wir ein eigenes Produkt entwickelt, das bereits verfügbar ist: unser Standard-Batteriesystem. Das ist besonders für die Elektrifizierung des Nutzfahrzeugemarkts als auch für Offhighway interessant. Es besteht aus standardisierten Batterieeinheiten, die beliebig zu einem kompletten System kombiniert werden können. Das hat für Fahrzeughersteller den Vorteil, dass sich die Entwicklungskosten im Vergleich zu einer eigens entwickelten Batterie stark reduzieren. Jeder Kunde bekommt so auch für kleine Stückzahlen zu guten Konditionen ein individualisiertes Batteriesystem. Da nur schwer absehbar ist, wie schnell sich der Markt für Elektrofahrzeuge entwickelt, können Hersteller auf diesem Weg ihr Investitionsrisiko verringern. Wir bieten mit einem zusätzlichen Full-Service-Paket gewissermaßen das Outsourcing des gesamten Batteriethemas an. Dazu gehört auch die Wartung und ein Leasing von Batterien, sowie „Flying Doctors“, die Schäden beheben und das „Second Live“ ausgemusterter Batterien abwickeln. Mit diesen hochqualitativen und kosteneffizienten Batterien kommen wir der bezahlbaren E-Mobilität für jedermann schon sehr nahe – wenn auch im gerne erst auf den zweiten Blick wahrgenommenen Nutzfahrzeugebereich.

Das klingt sehr durchdacht. Was waren die größten Herausforderungen bei dem Aufbau dieses neuen Bereichs?

Wilstermann: Wenn Sie zu einem Kunden gehen und Sie haben ein Produkt, das Sie schon Jahrzehnte herstellen, dann können Sie etwas vorweisen und Referenzen vorlegen, die nachvollziehbar sind. Wenn Sie komplett neu sind, dann starten Sie mit PowerPoint und dem Image der Firma – das ist alles. Speziell bei Webasto kommt hinzu, dass das Unternehmen sehr erfolgreich ist – man könnte sogar sagen erfolgsverwöhnt. Wir haben einen Namen zu verlieren. Daher war der Schritt in die Elektromobilität natürlich gut durchdacht. Dennoch befindet man sich nach einem Strategieprozess immer erst mal am Anfang einer Reise. Das ist wie der Aufstieg zum Himalaya: Unsere Dächer und Heizer haben wir millionenfach dort hochgetragen, mit Batteriesystemen gehen wir den Weg zum ersten Mal. Wir kennen zwar die Route und profitieren von unseren Erfahrungen, aber die Rahmenbedingungen sind neu. Wir konkurrieren mit völlig neuen Wettbewerbern in einem unbekannten Terrain – das betrifft nicht nur die Produkte, sondern im Grunde alle wesentlichen Elemente der neuen Einheit, angefangen bei den Prozessen, über die Infrastruktur bis hin zu den Mitarbeitern mit der nötigen Expertise. Damit gelten völlig andere Spielregeln.

Interessant. Wie bringen Sie für dieses neue Geschäftsfeld entsprechende Kompetenzen und Fähigkeiten ins Haus?

Wilstermann: In den letzten 3 Jahren haben wir global im Bereich Batteriesysteme rund 200 Mitarbeiter aufgebaut. Bis Ende 2020 kommen bis zu 100 weitere dazu. In der Tat ist hierbei der Wettbewerb um die besten Mitarbeiter und Talente eine Herausforderung. Diesen Wettbewerb kann man meines Erachtens nur mit der richtigen Kultur und einem modernen Arbeitsumfeld dauerhaft gewinnen. Wir haben aber auch vermehrt innerhalb unserer bestehenden Organisation nach geeigneten Mitarbeitern gesucht. Hier kommt es auf die richtige Mischung an, um auch die interne Vernetzung der Bereiche zu fördern. Was beim Aufbau einer Organisation gerne falsch gemacht wird, ist der Versuch sie von unten her aufzubauen, also ein Team aus Fachleuten zu holen und erst dann zu überlegen, wen setze ich darüber. Wir haben uns für einen anderen Weg entschieden, indem wir erst die Leitungsfunktionen besetzt und das Team anschließend gezielt erweitert haben. Die Führungskräfte waren dabei eng in die Recruiting-Prozesse eingebunden und konnten von Anfang an die richtigen kulturellen und werteorientierten Impulse setzen. Seit 2019 arbeiten wir nun verstärkt daran, die neuen Bereiche auch organisatorisch mit den etablierten Business Units zu verknüpfen. Ein Hauptziel dieser neuen Organisation ist die engere Zusammenarbeit unserer Kollegen aus allen Geschäftsbereichen. Dadurch können wir unseren Kunden die gesamte Produktpalette aus einer Hand anbieten sowie in Entwicklung und Produktion Synergien und vorhandene Erfahrungen nutzen.

Neben dem dynamischen Ramp-Up eines neuen Geschäftsfelds ist oftmals ein schneller Return on Invest eine große Herausforderung. Wie sehen Ihre Ziele aus?

Wilstermann: Wir werden in den nächsten Jahren weiter in den strategischen Ausbau von Webasto investieren, einen Großteil davon in Sachanlagen, Entwicklung und Personal für die Elektromobilität. Ziel ist unter anderem, dass der Bereich Batteriesysteme ein weiteres Standbein für Webasto wird. Wir sehen in den nächsten Jahren einen Umsatz in einer Größenordnung von 500 Millionen bis zu einer Milliarde Euro.

Webasto Batteries in fünf Jahren – wie sieht ihr Business & Team im Jahr 2025 aus?

Wilstermann: 2025 ist Webasto ein international etablierter Anbieter für Batteriesysteme und Partner für die Elektromobilität. Der Bereich Batteriesysteme ist dann ein weiteres vollständig integriertes wichtiges Standbein für die gesamte Webasto Gruppe.

Vielen Dank für das Gespräch.

https://www.webasto-group.com/de/erstausruestung/batteriesysteme/

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04.03.2020   |  

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