Das Steuer aus der Hand geben: Die Angst vor dem autonom fahrenden PKW

Seit über einem Jahrhundert hat der Mensch jederzeit und vollumfänglich die Kontrolle über sein Fahrzeug – dieses Gefühl der Sicherheit und Selbstbestimmtheit wird nun durch disruptive Technologien, wie autonom fahrende Fahrzeuge bedroht.

Es ist somit unabdinglich, dass neben dem technischen Ausbau auch die psychologische Komponente bei der Entwicklung dieses Megatrends in Betracht gezogen wird. Grundsätzlich ist die menschliche Angst ist eine lebenswichtige Funktion, die den Menschen alarmiert1, wenn er in Gefahr ist und ihn zu Kampf, Flucht oder Vorsicht animiert. Sein Leben in die Hände von Kameras, Sensoren und Laserscannern zu legen erweckt bei vielen Menschen das Gefühl des Kontrollverlustes, eine der sieben Grundängste des Menschen. Dies führt dazu, dass trotz des Reizes individueller Mobilität, 81% der Deutschen nur in ein autonomes Fahrzeug einsteigen würden, wenn Sie das Steuer wieder übernehmen könnten.

Irrationalität und regionale Unterschiede

Die Auswirkung dieses psychologischen Effekts auf das Produktdesign, die Vermarktung sowie die Kommunikation rund um autonom fahrende PKW ist enorm und kann dazu führen, dass Deutschland auch in dieser wichtigen Entwicklung im Automobilsektor die Nase nicht mehr vorne hat. Kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und beispielsweise den USA oder Asien machen es diesen Regionen leichter, Innovationen im Bereich des (teil-) autonomen Fahrens auf die Straße zu bringen. Eine mögliche Strategie wäre, den Konsumenten in Deutschland die Angst zu nehmen – eine Alternative ist die Verlegung der Testmärkte in andere Teile der Welt. Auf Basis der so gewonnenen empirischen Ergebnisse lässt sich die Zuverlässigkeit einer neuen Technologie einfacher und glaubhaft vermitteln – aber nur zum Teil. Ängste sind vielfach irrational: so ist die Phobie vor dem Autofahren (0,5 – 1,5%) weit weniger verbreitet als Flugangst (bis zu 25%), und das obwohl die Risiken im Straßenverkehr deutlich höher sind als beim Fliegen. Auf der anderen Seite haben 81% Angst vor dem autonom fahrenden Auto, 75% steigen aber angstfrei in ein Flugzeug – welches einen Großteil des Fluges vollautomatisch absolviert.

Offen kommunizieren und Kunden-Interaktion deutlich erhöhen

Die Technik ist dem Menschen inzwischen in Punkto Zuverlässigkeit und Reaktionsgeschwindigkeit überlegen. Rational gesehen kann man also angstfrei auf den Chauffeur im Mikrochip setzen. Die technisch orientierte Automobilindustrie muss jedoch umdenken. Auch wenn sie rational nicht erklärbar ist: die Angst, sich einem autonom fahrenden PKW anzuvertrauen ist real. Es hilft daher nichts, diese einfach nur für unbegründet zu erklären. Vielmehr muss sie wahrgenommen und mit Ernsthaftigkeit diskutiert werden. Erst im Anschluss können kollektive und individuelle Lösungsstrategien entstehen, die wiederum eine intensive Interaktion der OEMs mit ihren Kunden voraussetzen. Veränderungsprozesse haben einen Schlüssel zum Erfolg: offene Kommunikation – dies erfordert gleichzeitig eine signifikante Verhaltensänderung in der Branche.

Strategische Aspekte

Wie können Automobilunternehmen erfolgskritische psychologische Faktoren in zukünftige Strategien und Kampagnen einfließen lassen, mit dem Ziel, potentiellen Kunden die Angst zu nehmen und somit übergreifende, gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen für eine Zukunft autonomer Mobilität? Anzunehmen ist, dass ein Großteil der Ängste durch die Möglichkeit in einem sicheren Umfeld neue Technik auszuprobieren und zu erleben verschwindet, auch wenn autonomes Fahren bisher nie dagewesene psychologische Herausforderungen beinhaltet. Eine OEM-unabhängige Strategie muss entwickelt werden, um zeitnah große Teile der Bevölkerung zu erreichen, beispielsweise in Carsharing-Modellen oder im ÖPNV. Sinnvollerweise rüsten die Hersteller parallel ihre Technik- und Vertriebsorganisationen mit theoretischem Wissen und praktischen Lösungsansätzen auf, um diese Innovation zum Erfolg zu führen.

Autor: Martin Neuhold, Mitglied der Geschäftsleitung und Partner bei Kienbaum Consultants International GmbH
www.kienbaum.com

Please follow and like us:

Das könnte Sie auch interessieren